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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
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UN-Richtlinie gibt, wie viel virtuelle Zeit ein Inhaftierter verbringen darf?«
    »Das weiß ich, aber wir sind noch weit vom Limit entfernt«, sagte Ortega. »Warum setzen Sie sich nicht, Kadmin?«
    »Nein, danke.«
    »Ich sagte, Sie sollen sich auf Ihren verdammten Arsch setzen!« Mit einem Mal klang die Stimme der Polizistin stahlhart, und wie von Zauberhand verschwand Kadmin und tauchte am Tisch sitzend wieder auf. Sein Gesicht zeigte ein kurzes Aufflackern der Wut über die Lageveränderung, doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt und breitete in ironischer Geste die Arme aus.
    »Sie haben Recht, so ist es wesentlich bequemer. Wollen Sie beide mir nicht Gesellschaft leisten?«
    Wir nahmen unsere Plätze auf die konventionelle Art ein, und ich starrte Kadmin dabei unentwegt an. Es war das erste Mal, dass ich so etwas gesehen hatte.
    Er war der Patchwork-Mann.
    Die meisten virtuellen Systeme erschufen eine Person nach Selbstbildern, die im Gedächtnis gespeichert waren. Doch sie wurden von einer Subroutine überarbeitet, die verhinderte, dass man mit seinen Illusionen zu weit von der Norm abwich. Ich war meistens etwas größer und schmaler im Gesicht, als ich gewöhnlich aussah. In Kadmins Fall schien das System die zahllosen unterschiedlichen Selbstwahrnehmungen seiner mutmaßlich langen Liste von Sleeves miteinander vermischt zu haben. Ich hatte so etwas schon häufiger gesehen, auch als bewusst eingesetzte Technik, aber die meisten gewöhnten sich sehr schnell an den gerade aktuellen Sleeve, sodass diese Gestalt alle vorherigen Inkarnationen überlagerte. Schließlich hatte die Evolution dafür gesorgt, dass wir uns an die gegebene physische Welt anpassten.
    Der Mann vor mir war anders. Sein Körperbau war der eines Nordeuropäers und überragte mich um fast dreißig Zentimeter, aber das Gesicht passte überhaupt nicht dazu. Oben begann es mit afrikanischen Zügen, breit und tiefschwarz, aber die Farbe endete wie eine aufgemalte Maske unter den Augen, und die untere Hälfte war entlang der Nasenlinie senkrecht geteilt, ein helles Kupferbraun auf der linken Seite, ein blasses Leichenweiß auf der rechten. Die Nase war ausladend und hakenförmig und vermittelte recht gut zwischen der oberen und unteren Gesichtshälfte, doch der Mund war eine unpassende Mischung aus rechts und links, wodurch die Lippen merkwürdig verzerrt wirkten. Die schwarze Mähne aus langem glattem Haar war aus der Stirn gekämmt und auf einer Seite mit weißen Strähnen durchsetzt. Die Hände, die regungslos auf dem Metalltisch lagen, waren mit Krallen ausgestattet, ähnlich denen, die ich bei dem hünenhaften Ringkämpfer in Licktown gesehen hatte. Trotzdem waren die Finger lang und feingliedrig. Aus seinem übernatürlich muskulösen Oberkörper ragten zwei Brüste hervor. Die Augen in der pechschwarzen Haut hatten eine überraschende Grünfärbung. Kadmin hatte sich von konventionellen körperlichen Wahrnehmungen befreit. In einem früheren Zeitalter wäre er ein Schamane gewesen, heute hatten ihn die Jahrhunderte der Technik zu viel mehr gemacht. Er war ein elektronischer Dämon, ein bösartiger Geist, der im Carboneogen wohnte, um von Körpern Besitz zu ergreifen und Schaden anzurichten.
    Er hätte einen erstklassigen Envoy abgegeben.
    »Ich vermute, dass ich mich nicht mehr vorstellen muss«, sagte ich ruhig.
    Kadmin grinste, wobei er kleine Zähne und eine feine, spitze Zunge entblößte. »Wenn Sie ein Freund des Lieutenants sind, müssen Sie hier nichts tun, was Sie nicht tun wollen. Nur Schweine lassen sich ihre VR editieren.«
    »Kennen Sie diesen Mann, Kadmin?«, fragte Ortega.
    »Hoffen Sie auf ein Geständnis, Lieutenant?« Kadmin warf den Kopf zurück und lachte melodisch. »Oh, wie ungehobelt! Diesen Mann? Diese Frau vielleicht? Oder… ja, selbst ein Hund könnte darauf trainiert werden, dasselbe zu sagen, mit der richtigen Dosis Beruhigungsmittel, versteht sich. Bedauernswerterweise neigen sie dazu, den Verstand zu verlieren, wenn man sie dekantiert. Aber ja, sogar ein Hund. Hier sitzen wir, drei Silhouetten, aus elektronischem Schneetreiben geschnitzt, im Sturm der Unterschiedlichkeit, und Sie reden wie in einem billigen Historiendrama. Begrenzte Vision, Lieutenant, begrenzte Vision. Wo ist die Stimme, die sagte, das Carboneogen würde uns von den fleischlichen Zellen befreien? Die Vision, in der es hieß, wir würden wie Engel sein?«
    »Sagen Sie es mir, Kadmin. Sie sind es, der den höchsten professionellen Rang

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