Das Unsterblichkeitsprogramm
kleine Sonnenbrille wieder auf.
»Manchmal ist gar nichts mehr nötig«, sagte ich.
18
Ich begegnete erstmals einem Anwalt, als ich fünfzehn war. Es war ein gehetzt wirkender Experte für jugendliche Schlägereien, der mich gar nicht so schlecht verteidigte, in einem Fall wegen geringfügiger organischer Defekte, die einem Polizisten von Newpest zugefügt worden waren. Er handelte das Gericht mit starrsinniger Geduld auf Bewährung und eine elfminütige virtuelle psychiatrische Beratung herunter. In der Halle vor dem Gerichtssaal sah er mir ins vermutlich entnervend selbstgefällige Gesicht und nickte, als wären seine schlimmsten Befürchtungen über den Sinn seines Lebens bestätigt worden. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon. Ich hatte seinen Namen längst vergessen.
Meine kurz darauf begonnene Karriere in der Gangsterszene von Newpest verhinderte weitere solche Begebenheiten. Die Gangs kannten sich in den Netzen aus und schrieben bereits ihre eigenen Zugangsprogramme oder kauften sie von Kindern, die halb so alt wie sie waren, im Austausch gegen virtuelle Billigpornos, die sie aus den Netzspeichern geklaut hatten. Sie ließen sich nicht so leicht schnappen, und als Belohnung dafür ließ die Polizei von Newpest sie meistens in Ruhe. Gewaltakte innerhalb der Gangs waren größtenteils ritualisiert und schlossen in der Regel andere Mitspieler aus. Wenn sie bei seltenen Gelegenheiten eskalierten und Zivilisten betroffen waren, kam es zu einer schnellen und brutalen Serie von Vergeltungsangriffen, nach denen mehrere heldenhafte Ganganführer in der Einlagerung landeten und die übrigen ihre Wunden leckten. Zum Glück hatte ich mich in der Hierarchie nie weit genug hinaufgearbeitet, um auf diese Weise abgefertigt zu werden. Somit erhielt ich erst bei der Untersuchung des Innenin-Zwischenfalls die zweite Gelegenheit, einen Gerichtssaal von innen zu sehen.
Die Anwälte, die ich dort erlebte, hatten ungefähr genauso viel mit meinem ersten Verteidiger gemeinsam wie automatisches Maschinengewehrfeuer mit einem Furz. Sie waren eiskalte, aalglatte Profis, die weit genug die Karriereleiter erstiegen hatten, um trotz ihrer Uniformen niemals näher als tausend Kilometer an ein tatsächliches Kampfgeschehen heranzukommen. Das einzige Problem, das sie hatten, während sie über den nackten Marmorboden des Gerichtssaals hin und her wieselten, war die penible Unterscheidung zwischen Krieg (Massenmord an Menschen, die eine andere Uniform als man selbst trugen), notwendigen Verlusten (Massenmord an den eigenen Truppen, wenn er zu einem bedeutenden Gewinn führte) und sträflicher Nachlässigkeit (Massenmord an den eigenen Truppen ohne nennenswerten Gewinn).
Ich saß drei Wochen lang in diesem Gerichtssaal und hörte ihnen zu, wie sie sich um Definitionsnuancen stritten, und mit jeder verstreichenden Stunde wurden die Unterscheidungen, die für mich zu Anfang recht klar gewesen waren, immer vager. Ich vermutete, das bewies, wie gut sie waren.
Danach empfand ich geradlinige Kriminalität geradezu als Erleichterung.
»Haben Sie ein Problem?« Ortega warf mir einen Seitenblick zu, als sie das Zivilfahrzeug auf den geneigten Kiesstrand unter der mit Glas verkleideten Anwaltskanzlei Prendergast Sanchez setzte.
»Ich habe nur nachgedacht.«
»Versuchen Sie es mit kalten Duschen und Alkohol. Bei mir funktioniert es.«
Ich nickte und hielt die winzige Metallperle hoch, die ich zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her gerollt hatte. »Ist das hier legal?«
Ortega stellte die Turbinen ab. »Mehr oder weniger. Niemand wird sich beschweren.«
»Gut. Am Anfang brauche ich etwas verbale Rückendeckung. Sie werden reden. Ich halte die Klappe und höre erst einmal nur zu. Dann sehe ich weiter.«
»Okay. So hat es auch Ryker gemacht. Er sagte nie zwei Worte, wenn auch eins genügte. Die meisten Gauner klappten bereits zusammen, wenn er sie nur ansah.«
»So eine Art Micky Nozawa, was?«
»Wer?«
»Egal.« Das Prasseln aufgewirbelter Kieselsteinchen an der Karosserie erstarb, als Ortega den Motor auf Leerlauf herunterfuhr. Ich streckte mich auf meinem Sitz aus und stieß die Beifahrertür auf. Als ich ausstieg, sah ich eine kraftstrotzende Gestalt, die aus dem Zwischenstock des Gebäudes und über die gewundene Holztreppe näher kam.
Wahrscheinlich war er gegraftet. Eine kurzläufige Waffe hing dem Mann über die Schulter, und er trug Handschuhe. Wahrscheinlich war er kein Anwalt.
»Bleiben Sie ruhig«,
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