Das Unsterblichkeitsprogramm
hielt inne. »Und mit so etwas haben Sie tatsächlich Ihren Lebensunterhalt verdient?«
»Manchmal. Mit diplomatischen Missionen, verdeckten Ermittlungen. Es war nicht…«
Ich verstummte, als sie mir einen Ellbogenstoß in die Rippen versetzte. Auf dem Bildschirm entknoteten sich mehrere codierte Sequenzen wie Schlangen aus blauem Feuer.
»Es geht los. Simultane Anrufe, offenbar virtuell, um Zeit zu sparen. Eins, zwei, drei – der da geht nach New York. Offenbar bringt er seine Partner auf den neuesten Stand. Ups!«
Der Bildschirm flackerte und wurde unvermittelt schwarz.
»Sie haben das Ding gefunden«, sagte ich.
»So ist es. Die New Yorker Verbindung war anscheinend mit einem Wachhund versehen, der die Umgebung des Anrufers ausgeschnüffelt hat.«
»Oder eine der anderen.«
»Ja.« Ortega rief den Speicher des Bildschirms ab und sah sich die Codes an. »Alle drei laufen über gesicherte Leitungen. Dürfte eine Weile dauern, sie zu lokalisieren. Wollen Sie was essen?«
Eigentlich sollte ein Veteran der Envoys kein Heimweh kennen. Wenn es einem nicht schon durch die Konditionierung ausgetrieben wurde, sollte man es sich spätestens nach all den Jahren, die man kreuz und quer durchs Protektorat geschickt wurde, abgewöhnt haben. Envoys waren Bürger des nur schwer eingrenzbaren Staates Hier-und-Jetzt, der eifersüchtig jegliche doppelte Nationalität verbot. Die Vergangenheit war nur in Form von Daten relevant.
Dennoch verspürte ich Heimweh, als wir am Küchenbereich des Fliegenden Fisches vorbeigingen und mich wie freundlich tastende Tentakel die Düfte von Soßen berührten, die ich zuletzt in Millsport gekostet hatte. Teriyaki, gebratene Tempuras und über allem ein Hauch von Miso. Ich ließ mich einen Moment lang davon einnebeln und erinnerte mich an jene Zeiten. Eine Ramen-Bar, in die Sarah und ich uns geschlichen hatten, während sich die Hitze des Gemini-Biosys-Gefechts verflüchtigt hatte, mit starrem Blick auf die Newsnet-Sendungen und ein Videofon mit eingeschlagenem Bildschirm in der Ecke, der jeden Moment einen Anruf signalisieren konnte. Beschlagene Fensterscheiben und die Gesellschaft wortkarger Millsport-Fischer.
Und ich ließ meine Erinnerungen noch weiter zurückwandern, zu den von Motten zerfressenen Papierlaternen vor Watanabes Laden an einem Freitagabend in Newpest. Meine jugendliche Haut war feucht vor Schweiß im Dschungelwind aus dem Süden, und meine Augen glitzerten vom Tetrameth in einem der großen Windspiel-Spiegel. Die Gespräche waren billiger als die großen Schüsseln mit Ramen und drehten sich um große Summen und Yakuza-Verbindungen, um Tickets nach Norden und weiter, um neue Sleeves und neue Welten. Der alte Watanabe hatte mit uns auf dem Deck gesessen, sich alles angehört, aber niemals ein Wort dazu gesagt, sondern nur seine Pfeife geraucht und von Zeit zu Zeit seine europäischen Gesichtszüge im Spiegel betrachtet – stets mit leichter Überraschung, wie mir schien.
Er hatte uns nie verraten, wie er an diesen Sleeve gekommen war, genauso wie er nie etwas zu den Gerüchten über seine Eskapaden beim Marine Corps, der Quell Memorial Brigade, den Envoys oder sonst wem sagte. Ein älteres Mitglied der Gang hatte uns einmal erzählt, er hätte Watanabe in einem Raum voller Sieben-Prozent-Engel bäuchlings auf dem Boden liegen sehen, nur mit seiner Pfeife in der Hand, und irgendein Junge aus den Sumpfstädten schleppte einmal die unscharfe Kopie einer Nachrichtensendung an, die aus den Siedlerkriegen stammte, wie er behauptete. Es waren hastig gemachte Aufnahmen, nur in 2-D, kurz bevor ein Angriffstrupp losstürmte, aber der interviewte Sergeant hieß laut Unterzeile Watanabe, Y., und an der Art, wie er den Kopf neigte, wenn ihm eine Frage gestellt wurde, erkannten wir ihn sofort auf dem Bildschirm wieder. Andererseits war Watanabe damals ein durchaus geläufiger Name, und der Typ, der ihn mit den Engeln gesehen haben wollte, hatte uns ein andermal begeistert erzählt, wie er mit einer Familienerbin der Harlans gevögelt hatte, als sie sich in die Niederungen begeben hatte, und das hatte niemand von uns geglaubt.
An einem der seltenen Abende, als ich sowohl nüchtern als auch allein bei Watanabe war, hatte ich meinen jugendlichen Stolz weit genug zurückdrängen können, um den alten Mann um Rat zu fragen. Ich hatte seit Wochen Werbetexte der UN-Streitkräfte gelesen, und ich brauchte jemanden, der mir einen Schubs in die eine oder die andere Richtung
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