Das Unsterblichkeitsprogramm
denn die Realität war ihr Schmerz, und im Augenblick gab es nichts, was diesen Schmerz zum Verschwinden bringen konnte.
Also sagte ich nichts.
Das Morgenlicht wurde heller und schälte die verschlossenen Geschäfte hinter uns aus der Dämmerung. Ich drehte mich zu den Fenstern von Elliotts Datenlinkhandel um.
»Victor?«, fragte ich.
»Schläft.« Sie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und schniefte, als würde sie billiges Amphetamin nehmen. »Sie sagten, damit könnte ich Bancroft wehtun?«
»Ja. Auf sehr subtile Weise, aber es wird ihm definitiv Schmerzen bereiten.«
»Ich soll eine KI hacken«, sagte Irene Elliott. »Ich soll ein Virus installieren, dessen Besitz mit Auslöschung bestraft wird. Ich soll einen prominenten Meth fertig machen. Ist Ihnen klar, wie hoch das Risiko ist? Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen?«
Ich drehte mich zu ihr um und sah ihr in die Augen.
»Ja.«
Ihr Mund verzog sich und zitterte.
»Gut. Dann machen wir es.«
31
Es dauerte weniger als drei Tage, die Aktion vorzubereiten. Irene Elliott verwandelte sich in einen eiskalten Profi und leitete alles in die Wege.
Auf dem Rückflug nach Bay City hatte ich ihr im Wagen alles erklärt. Zu Anfang vergoss sie immer noch mentale Tränen, aber als es um die Details ging, klinkte sie sich ein, nickte, unterbrach mich und stellte Fragen zu Punkten, die ich nicht ausführlich genug dargestellt hatte. Ich zeigte ihr Reileen Kawaharas Liste mit den Vorschlägen für die benötigte Hardware, und sie kreuzte etwa zwei Drittel davon an. Der Rest war firmeninternes Füllwerk. Ihrer Ansicht nach blickten Kawaharas Berater überhaupt nicht durch.
Am Ende der Reise hatte sie alles verstanden. Ich konnte praktisch erkennen, wie der Plan hinter ihren Augen Gestalt annahm. Die Tränen waren auf ihrem Gesicht getrocknet und vergessen, und sie strahlte Zielstrebigkeit und gezügelten Hass auf den Mann aus, der ihre Tochter so schändlich missbraucht hatte. Sie war die Verkörperung der Bereitschaft zur Rache.
Irene Elliott war dabei.
Ich mietete ein Apartment in Oakland, über das JacSol-Konto. Elliott zog ein, und ich ließ sie allein, damit sie den versäumten Schlaf nachholen konnte. Ich kehrte ins Hendrix zurück und versuchte ebenfalls zu schlafen, doch ohne besonderen Erfolg. Als ich sechs Stunden später wieder das Apartment aufsuchte, lief Elliott bereits ungeduldig auf und ab.
Ich rief die Nummern an, die Kawahara mir gegeben hatte, und bestellte die Sachen, die Elliott benötigte. Nach wenigen Stunden trafen die Kisten ein. Elliott riss sie sofort auf und breitete die Hardware auf dem Boden des Apartments aus.
Gemeinsam gingen wir Ortegas Liste mit virtuellen Foren durch und reduzierten sie auf sieben Adressen.
(Ortega war in der Zwischenzeit weder aufgetaucht, noch hatte sie mich im Hendrix angerufen.)
Am Nachmittag des zweiten Tages warf Elliott die Primärmodule an und sah sich der Reihe nach die Adressen an. Die Liste verkürzte sich auf drei Kandidaten, und Elliott schickte mich los, um ein paar weitere Dinge einzukaufen. Um die Software für den großen Schlag zu verfeinern.
Am frühen Abend standen nur noch zwei Namen auf der Liste, und Elliott notierte sich das vorbereitende Prozedere zum Eindringen in beide Foren. Immer wenn sie auf ein Problem stieß, zogen wir uns zurück und verglichen die Optionen miteinander.
Gegen Mitternacht hatten wir unser Ziel definiert. Elliott ging zu Bett und schlief acht Stunden durch. Ich zog mich ins Hendrix zurück und grübelte.
(Immer noch nichts von Ortega.)
Ich kaufte mir an der Straße ein Frühstück und nahm es zum Apartment mit. Doch keiner von uns beiden hatte großen Appetit.
Um 10 Uhr 15 Ortszeit kalibrierte Irene Elliott ihre Ausrüstung zum letzten Mal.
Wir schafften es.
In siebenundzwanzigeinhalb Minuten.
Elliott meinte, es wäre ein Kinderspiel gewesen.
Ich ließ sie allein, während sie ihre Ausrüstung demontierte, und flog los, um mich an diesem Nachmittag mit Bancroft zu treffen.
32
»Es fällt mir außerordentlich schwer, das zu glauben«, sagte Bancroft schroff. »Sind Sie sich wirklich ganz sicher, dass ich in diesem Etablissement war?«
Auf dem Rasen unter dem Balkon des Suntouch House schien Miriam Bancroft einen riesigen Papierdrachen zu bauen, nach den Anweisungen einer animierten Holoprojektion. Das Weiß der Flügel war so grell, dass es schmerzte, wenn man direkt darauf blickte. Als ich mich über das
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