Das Unsterblichkeitsprogramm
und blickte zu Miriam Bancroft hinunter, die inzwischen fast mit ihrem Drachen fertig war. Als sie aufschaute, wandte ich den Blick ab, der dann auf Bancrofts Teleskop fiel, das immer noch in geringer Abweichung von der Horizontalen aufs Meer gerichtet war. Ohne besonderes Interesse beugte ich mich vor und las die Gradzahlen im Display ab. Die Fingerabdrücke im Staub waren immer noch da.
Staub?
Bancrofts unbewusst überhebliche Worte fielen mir wieder ein. Eine frühere Liebhaberei. In einer Zeit, als es noch einen Reiz hatte, die Sterne anzustarren. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie das war. Das letzte Mal, dass ich durch diese Linse geblickt habe, liegt jetzt fast zwei Jahrhunderte zurück.
Von meinen Gedanken gebannt starrte ich auf die Fingerabdrücke. Es waren deutlich weniger als zweihundert Jahre verstrichen, seit jemand zuletzt durch die Linse geschaut hatte, auch wenn es nur ein kurzer Blick gewesen sein konnte. Die winzigen Spuren im Staub machten den Eindruck, dass die Programmtasten nur ein einziges Mal benutzt worden waren. Aus einem spontanen Impuls heraus trat ich zum Teleskop und folgte der Richtung, in die das Rohr zeigte, auf einen Punkt über dem Meer, der irgendwo im Dunst verschwand. So weit draußen würde man trotz des geringen Neigungswinkels in eine Höhe von mehreren Kilometern blicken. Ich beugte mich wie im Traum über das Okular. Ein grauer Fleck erschien im Zentrum meines Sichtfeldes, der abwechselnd scharf und unscharf wurde, da meine Augen Schwierigkeiten hatten, sich auf das weite Blau einzustellen. Ich hob den Kopf und betrachtete noch einmal die Kontrollen. Ich fand eine Taste für maximale Vergrößerung und drückte ungeduldig darauf. Als ich wieder ins Teleskop schaute, war der graue Punkt viel größer und deutlicher geworden. Nun füllte er fast das gesamte Sichtfeld aus. Ich atmete langsam aus und fühlte mich, als hätte ich die Zigarette doch geraucht.
Das Luftschiff hing wie ein Flaschenrücken da, der nach einer Fressorgie gesättigt war. Es musste mehrere hundert Meter lang sein, mit Ausbuchtungen an der unteren Hälfte der Hülle und Vorsprüngen, die wie Landeplattformen aussahen. Ich wusste genau, was ich sah, noch bevor Rykers Neurachem die letzten Feinheiten der Bildschärfe eingestellt hatte, sodass ich nun auch die in der Sonne glänzenden Buchstaben erkennen konnte: Im Siebenten Himmel.
Ich trat vom Teleskop zurück, atmete einmal tief durch, und als meine Augen wieder auf die normale Brennweite gingen, fiel mein Blick erneut auf Miriam Bancroft. Sie stand zwischen den Teilen ihres Drachens und starrte zu mir herauf. Ich zuckte beinahe zusammen, als sich unsere Blicke trafen. Ich legte die Hand an die Schaltfläche des Teleskops und tat das, was auch Bancroft hätte tun sollen, bevor er sich den Kopf zerstrahlt hatte. Ich löschte die gespeicherten Einstellungen, und die Ziffern, die sieben Wochen lang die Position des Luftschiffs markiert hatten, verschwanden vom Display.
Ich war mir im Laufe meines Lebens schon des Öfteren wie ein Idiot vorgekommen, aber es hatte sich nur selten so peinlich angefühlt wie in diesem Moment. Im Okular hatte sich die ganze Zeit der entscheidende Hinweis versteckt, sodass jeder einen Blick hätte darauf werfen können. Der Polizei war er entgangen, weil die Untersuchung hastig, ohne besonderes Interesse und ohne genügend Hintergrundwissen durchgeführt worden war. Bancroft war er entgangen, weil das Teleskop zu einem so geläufigen Bestandteil seiner Welt geworden war, dass er es keines zweiten Blickes mehr gewürdigt hatte. Nur für mich galten diese Entschuldigungen nicht. Ich war vor einer Woche hier gewesen und hatte die widersprüchlichen Hinweise mit eigenen Augen gesehen. Einerseits hatte Bancroft behauptet, das Teleskop seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt zu haben, während ich gleichzeitig die Spuren im Staub bemerkt hatte, die eine gegensätzliche Realität bewiesen. Und Miriam Bancroft hatte es eine knappe Stunde später untermauert, als sie gesagt hatte: Während Laurens auf die Sterne starrte, musste jemand von uns den Blick auf den Boden richten. In diesem Moment hatte ich an das Teleskop gedacht, doch mein Geist hatte noch gegen die Trägheit im Gefolge des Downloads rebelliert. Zitternd und unsicher, auf einen neuen Planeten und in einen neuen Körper versetzt, hatte ich es ignoriert.
Miriam Bancroft blickte immer noch zu mir herauf. Ich trat vom Teleskop zurück, brachte mein
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