Das Unsterblichkeitsprogramm
ich Ihnen an Bord der Panama Rose zu bieten habe. Hier geht es nicht um stilles Vergessen, sondern um die lebhafte Erinnerung, mag sie auch noch so bitter sein. Hier geht es nicht um Träume, meine Freunde, sondern um die Realität.« Er riss einen Arm hoch und zeigte auf mich. »Meine Freunde, das ist die Realität!«
Das Gegröle setzte wieder ein. Ich schaute zu Kadmin hinüber und hob entnervt die Augenbrauen. Ich hatte damit gerechnet, sterben zu müssen, aber nicht, mich zu Tode zu langweilen. Kadmin antwortete mit einem Achselzucken. Er wollte kämpfen. Carnages theatralische Phrasen waren der unangenehme Preis, den er dafür zu zahlen hatte.
»Das ist die Realität«, wiederholte Emcee Carnage. »Heute Abend erleben Sie die Realität. Heute Abend werden Sie zusehen, wie Elias Ryker stirbt, wie er in die Knie geht und verreckt. Auch wenn ich Ihnen die Erinnerung nicht nehmen kann, wie Sie blutig geschlagen und Ihnen die Knochen gebrochen wurden, kann ich sie Ihnen zumindest durch den Anblick ersetzen, wie nun Ihr Peiniger seine gerechte Strafe erhält.«
Die Menge tobte.
Ich überlegte einen Moment, ob Carnage übertrieb. Die Wahrheit über Ryker war nur schwer zu fassen, wie es schien. Ich erinnerte mich daran, wie ich Jerrys Gästezimmer verlassen hatte, wie Oktai vor mir zurückgeschreckt war, als er Rykers Gesicht gesehen hatte. Jerry hatte mir vom Zusammenstoß zwischen dem Mongolen und dem Polizisten, dessen Körper ich trug, erzählt: Ryker war ihm ständig auf den Fersen. Hat ihn vor ein paar Jahren halb tot geprügelt. Und dann Bautistas Bemerkung über seine Verhörmethoden: Die meiste Zeit hat er sich wirklich zusammengerissen. Wie oft hatte Ryker sich nicht mehr zusammenreißen können? Wenn man bedachte, wie viele Menschen sich hier versammelt hatten…
Was hätte Ortega dazu gesagt?
Ich dachte an Ortega, und das Bild ihres Gesichts war eine winzige Oase der Ruhe im Geschrei, das Carnage angefeuert hatte. Mit etwas Glück und mit dem, was ich im Hendrix für sie zurückgelassen hatte, würde sie Kawahara für mich zur Strecke bringen.
Das zu wissen genügte mir.
Carnage zog ein Messer mit schwerer, gezackter Klinge unter seinem Gewand hervor und hielt es hoch. In der Halle wurde es wieder etwas ruhiger.
»Für den Gnadenstoß«, verkündete er. »Wenn Elias Ryker durch unseren Matador niedergerungen wurde und nicht mehr genug Kraft hat, um sich noch einmal zu erheben, werden Sie sehen, wie ihm bei lebendigem Leib der Stack aus der Wirbelsäule geschnitten und zerstört wird. Und dann werden Sie die Gewissheit haben, dass er nicht mehr existiert.«
Er ließ das Messer los und nahm den Arm herunter. Der pure Showeffekt. Die Waffe hing in der Luft und glitzerte im fokussierten Gravfeld, dann stieg sie bis in eine Höhe von etwa fünf Metern empor, exakt über dem Mittelpunkt des Kampfplatzes.
»Der Kampf soll beginnen«, sagte Carnage und zog sich zurück.
Dann folgte ein magischer Moment, eine Art Erlösung, fast, als wäre soeben eine Experia-Szene abgedreht worden, sodass wir nun alle zurücktreten und uns entspannen konnten. Wir hätten eine Whisky-Flasche herumgereicht und hinter den Scannern herumgealbert. Wir hätten Witze über das klischeehafte Drehbuch gerissen, nach dem wir agieren mussten.
Kadmin und ich waren aufgestanden und umkreisten uns. Wir hatten immer noch die ganze Breite des Rings zwischen uns und waren ohne Deckung, die einen Hinweis auf das gegeben hätte, was wir als Nächstes tun würden. Ich versuchte Kadmins Körpersprache zu entziffern.
Die Gottes-Wille-Biomech-Systeme, Version 3.1 bis 7, sind simpel, aber man sollte sie auf keinen Fall unterschätzen, hatte man uns vor der Landung auf Sharya erklärt. Die Konstrukteure haben besonderen Wert auf Kraft und Schnelligkeit gelegt, und in dieser Hinsicht haben sie wirklich Großartiges geleistet. Die einzige Schwäche liegt vielleicht darin, dass die Kampfroutinen keine Zufallsvariationen erlauben. Daher neigen die Märtyrer der Rechten Hand Gottes dazu, den Kampf mit einer sehr begrenzten Auswahl von Techniken unbeirrt fortzusetzen.
Auf Sharya waren wir mit den modernsten Kampfverstärkungssystemen ausgestattet gewesen, die standardmäßig auf Zufallsreaktionen und Analysefeedback programmiert waren. Rykers Neurachem kam nicht annähernd an diesen Stand der Technik heran, aber vielleicht konnte ich etwas Ähnliches mit ein paar Envoy-Tricks simulieren. Der eigentliche Trick bestand darin, lange genug am Leben
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