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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
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mürrisch und brachte das Instrument wieder in die ursprüngliche waagerechte Ausrichtung. Gradzahlen und Brennweitenwerte huschten über die uralte Digitalanzeige. Ich beobachtete das Gerät, wie es die Störung ausglich. Die Fingerabdrücke auf dem Tastenfeld zeichneten sich im Staub vieler Jahre ab.
    Bancroft hatte meine Tollpatschigkeit entweder nicht bemerkt oder ging höflich darüber hinweg.
    »Ihres?«, fragte ich und zeigte mit dem Daumen auf das Instrument. Er warf einen geistesabwesenden Blick darauf.
    »Eine frühere Liebhaberei. Aus einer Zeit, als es noch einen Reiz hatte, die Sterne anzustarren. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie das war.« Er sagte es ohne bewusste Anmaßung oder Arroganz, sondern eher beiläufig. Seine Stimme wurde schwächer, als würde man einen Sender aus dem Empfangsbereich verlieren. »Das letzte Mal, dass ich durch diese Linse geblickt habe, liegt jetzt fast zwei Jahrhunderte zurück. Damals waren noch eine Menge Kolonistenschiffe unterwegs. Wir warteten gespannt darauf, ob sie es schaffen würden. Wir warteten darauf, dass uns endlich die ersten Needlecasts erreichten. Wie die Signale ferner Leuchttürme.«
    Er driftete ab. Ich holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Das Perspektivenproblem?«, rief ich ihm behutsam ins Gedächtnis.
    »Genau.« Er nickte und deutete mit ausgestrecktem Arm über seinen Grundbesitz. »Sehen Sie diesen Baum? Direkt hinter den Tennisplätzen?«
    Er war kaum zu übersehen. Ein knorriges altes Monstrum, das viel höher als das Haus aufragte und eine Fläche beschattete, die ungefähr der Größe eines Tennisplatzes entsprach. Ich nickte.
    »Dieser Baum ist über siebenhundert Jahre alt. Als ich dieses Grundstück kaufte, engagierte ich einen Designer. Er wollte den Baum fällen lassen. Er hatte vor, das Haus etwas weiter oben am Hang zu bauen, und dort hätte der Baum den Blick aufs Meer verstellt. Ich habe ihn sofort gefeuert.«
    Bancroft sah mich wieder an, um sich zu vergewissern, dass ich verstand, worauf er hinauswollte.
    »Sehen Sie, Mr. Kovacs, dieser Designer war vielleicht Anfang dreißig, und für ihn war der Baum nur ein Störfaktor. Etwas, das ihm im Weg stand. Die Tatsache, dass der Baum bereits zwanzigmal länger als er ein Teil dieser Welt gewesen war, schien ihn überhaupt nicht zu bekümmern. Es mangelte ihm an Respekt.«
    »Also sind Sie der Baum.«
    »Ich bin der Baum«, sagte Bancroft ruhig. »Die Polizei würde mich gerne fällen, genauso wie dieser Designer. Weil ich ihnen im Weg stehe und weil sie keinen Respekt haben.«
    Ich kehrte zu meinem Stuhl zurück, um darüber nachzudenken. Allmählich ergab Kristin Ortegas Einstellung Sinn. Wenn Bancroft der Meinung war, er würde außerhalb dessen stehen, was man normalerweise von guten Staatsbürgern erwarten konnte, würde er sich zwangläufig nicht viele Freunde unter seinen Mitbürgern in Uniform machen. Es hätte wenig Sinn, ihm erklären zu wollen, dass es für Ortega einen anderen alten Baum gab, der das Gesetz repräsentierte, und dass Bancroft in ihren Augen derjenige war, der sich die Frechheit erlaubte, ein paar Nägel in den Stamm zu hämmern. Ich hatte diese Meinungsverschiedenheit von beiden Seiten erlebt, und es gab einfach keine andere Lösung, als genau das zu tun, was auch meine Vorfahren getan hatten. Wenn man mit dem Gesetz unzufrieden war, musste man sich an einen Ort begeben, wo es keinen Einfluss mehr hatte.
    Und dann machte man sich seine eigenen Gesetze.
    Bancroft blieb am Geländer stehen. Vielleicht kommunizierte er mit dem Baum. Ich beschloss, dieses Thema vorläufig zu den Akten zu legen.
    »Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern?«
    »Dienstag, 14. August«, antwortete er sofort. »Wie ich gegen Mitternacht zu Bett gegangen bin.«
    »Da wurde das letzte Update übertragen.«
    »Ja. Die Sendung muss gegen vier Uhr morgens erfolgt sein, aber da habe ich offenbar tief und fest geschlafen.«
    »Das war also fast volle achtundvierzig Stunden vor Ihrem Tod.«
    »Ich fürchte, ja.«
    Denkbar ungünstige Voraussetzungen. In achtundvierzig Stunden konnte alles Mögliche geschehen sein. Bancroft hätte in diesem Zeitraum zum Mond und zurück fliegen können. Ich rieb wieder die Narbe über meinem Auge und sann geistesabwesend darüber nach, was sie verursacht haben mochte.
    »Und bis zu diesem Zeitpunkt ist nichts geschehen, was uns einen Hinweis darauf geben könnte, wer vielleicht ein Interesse daran gehabt hätte, Sie zu

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