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Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dringendes Verlangen hin wurde ich noch vor der Verhandlung ins Ausland geschickt. Das habe ich Ihnen ja schon mündlich mitgeteilt.
    Wie Sie sehen, sind meine Erinnerungen sehr dürftig. Seit unserem Gespräch habe ich mir alles wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen, und ich kann nur wiederholen, dass Caroline es nicht getan hat.
    Davon bin ich fest überzeugt und werde es immer sein, aber ich kann dafür keinen anderen Beweis als meine genaue Kenntnis ihres Charakters anführen.

Drittes Buch

1
     
    C arla Lemarchant blickte auf; sie sah abgespannt und traurig aus. Mit einer müden Geste das Haar aus der Stirn streichend, sagte sie:
    «Es ist alles so verwirrend.» Sie wies auf die Berichte. «Jeder sieht meine Mutter anders, aber die Tatsachen sind die gleichen, darin stimmen sie alle überein.»
    «Die Lektüre hat Sie entmutigt?»
    «Ja. Sie nicht?»
    «Nein, ich finde diese Berichte sehr aufschlussreich», antwortete Poirot langsam und nachdenklich.
    «Ich wünschte, ich hätte sie nie gelesen», erwiderte Carla. «Alle sind von Mutters Schuld überzeugt, außer Tante Angela, und ihre Aussage zählt nicht; sie hat ja keinen Beweis dafür. Sie ist ein treuer Mensch, der für einen andern durch dick und dünn geht. – Natürlich ist mir klar, dass, wenn meine Mutter es nicht getan hat, eine jener andern fünf Personen es getan haben muss. Ich habe darüber nachgedacht und mir auch schon einige Theorien zurechtgelegt, aber…»
    «Das interessiert mich.»
    «Ach, es sind nur Theorien. Zum Beispiel Philip Blake. Er ist Börsenmakler, und er war der beste Freund meines Vaters; wahrscheinlich hat Vater ihm vertraut. Künstler sind in Gelddingen meist sehr nachlässig – vielleicht war Blake in Schwierigkeiten und hatte Vaters Geld veruntreut. Vielleicht hatte er meinen Vater veranlasst, einen Wechsel zu unterzeichnen. Dann drohte die Entdeckung, und die einzige Rettung für ihn war Vaters Tod. Das ist eine meiner Überlegungen.»
    «Nicht schlecht. Und weiter?»
    «Da ist Elsa. Philip Blake schreibt zwar, sie sei zu schlau, um sich durch Gift zu belasten, aber der Ansicht bin ich ganz und gar nicht. Angenommen, meine Mutter hätte ihr erklärt, sie werde unter keinen Umständen in eine Scheidung einwilligen. Sie können mir sagen, was Sie wollen, Monsieur Poirot, aber ich glaube, dass Elsa im Grunde ihres Herzens recht bürgerlich war; sie wollte richtig verheiratet sein. Nach dieser Unterredung hat sie vielleicht das Gift gestohlen, um meine Mutter bei Gelegenheit zu beseitigen. Das wäre ihr zuzutrauen. Und dann trank mein Vater infolge eines unglücklichen Versehens das Gift.»
    «Auch nicht schlecht. Sonst noch ein Verdacht?»
    «Also… vielleicht… Meredith!», antwortete Carla langsam.
    «Hm… Meredith Blake?»
    «Ja. Ich glaube, er wäre imstande, einen Menschen zu ermorden. Er ist der Trottel, über den die Leute lachen, und das kränkte ihn von jeher. Mein Vater heiratete das Mädchen, das er liebte. Mein Vater war reich und hatte großen Erfolg. Vielleicht braute Meredith diese Gifte nur, um eines Tages jemanden umzubringen. Er warnte vor dem Gift, um den Verdacht von sich abzulenken. Vielleicht wollte er meine Mutter am Galgen sehen, weil sie ihn vor Jahren abgewiesen hatte. All das, was er in seinem Bericht schreibt – dass Menschen fähig seien, Dinge zu tun, die gar nicht zu ihnen passen, klingt verdächtig. Vielleicht hat er sich selbst damit gemeint.»
    «Zumindest haben Sie Recht damit, dass man diese Berichte nicht als unumstößliche Wahrheit hinnehmen muss. Manches mag geschrieben worden sein, um uns in die Irre zu führen. Wer käme Ihrer Meinung nach sonst noch infrage?»
    «Ich habe auch über Miss Williams nachgedacht. Es war klar, dass sie ihre Stellung verlieren würde, wenn Angela ins Internat kam. Wenn aber Amyas plötzlich starb, würde Angela wahrscheinlich nicht fortmüssen. Ich habe im Lexikon nachgeschaut und festgestellt, dass Koniin keine leicht erkennbaren Spuren hinterlässt; wahrscheinlich hätte man nie auf Mord geschlossen, wenn Meredith nicht das Gift vermisst hätte. Man hätte ja einen Sonnenstich vermuten können. Ich weiß, dass der drohende Verlust einer Stellung kein besonders plausibles Mordmotiv ist, aber es sind schon Morde aus wesentlich geringfügigeren Gründen verübt worden. Eine ältere, vielleicht untüchtige Gouvernante könnte doch aus Angst um ihre Zukunft den Kopf verloren haben. Das dachte ich, bevor ich den Bericht von ihr las, aber Miss

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