Das Urteil
er den Prozeß für gescheitert erklärte, weil noch ein Geschworener ausgeschieden war. Doch das war kein hinreichender Grund für einen Abbruch. Harkin hatte seine Hausaufgaben gemacht. Er hatte sogar einen alten Fall gefunden, bei dem zugelassen worden war, daß elf Geschworene einen Zivilprozeß entschieden. Neun Stimmen waren erforderlich gewesen, und der Spruch der Geschworenen war vom Obersten Bundesgericht bestätigt worden.
Wie nicht anders zu erwarten, hatte sich die Nachricht von Hermans Herzinfarkt schnell unter den vielen Prozeßbeobachtern verbreitet. Die von der Verteidigung angeheuerten Jury-Berater erklärten es zu einem großen Sieg für ihre Seite, weil Herman ganz offensichtlich auf der Seite der Klägerin gestanden hatte. Die Jury-Berater der Klägerseite versicherten Rohr und seinen Kollegen, daß dies ein schwerer Schlag für die Verteidigung war, weil Herman offensichtlich Pro-Tabak gewesen war. Alle Jury-Berater begrüßten das Hinzukommen von Shine Royce, obwohl es den meisten schwerfiel, Gründe dafür anzugeben.
Fitch saß einfach fassungslos da. Wie zum Teufel bewirkt man eine Herzattacke? War Marlee kaltblütig genug, um einen blinden Mann zu vergiften? Gott sei Dank stand sie auf seiner Seite.
Die Tür ging auf, die Geschworenen kamen herein. Alle beobachteten sie, um sich zu vergewissern, daß Herman tatsächlich nicht unter ihnen war. Sein Platz blieb leer.
Richter Harkin hatte mit einem Arzt im Krankenhaus gesprochen, und er begann damit, daß er den Geschworenen mitteilte, daß es Herman besser zu gehen schien und es vielleicht nicht so ernst war, wie sie anfangs geglaubt hatten. Die Geschworenen, vor allem Nicholas, waren sehr erleichtert. Shine Royce wurde Geschworener Nummer fünf und nahm Hermans bisherigen Platz in der vorderen Reihe zwischen Phillip Savelle und Angel Weese ein.
Shine war richtig stolz auf sich.
Als alle zur Ruhe gekommen waren, forderte Seine Ehren Wendall Rohr auf, mit seinem Schlußplädoyer zu beginnen. Bleiben Sie unter einer Stunde, warnte er. Rohr, in seinem grellen Lieblingsjackett, aber mit einem gestärkten Hemd und einer sauberen Fliege, begann leise, entschuldigte sich für die Länge des Verfahrens und dankte ihnen dafür, daß sie eine so wundervolle Jury gewesen waren. Nachdem er die freundlichen Bemerkungen hinter sich hatte, stürzte er sich in eine bösartige Beschreibung des »…tödlichsten Verbraucherprodukts, das je hergestellt wurde. Die Zigarette. Sie bringt alljährlich vierhunderttausend Amerikaner um, zehnmal mehr als illegale Drogen. Kein anderes Produkt reicht auch nur entfernt daran heran.«
Er erwähnte die Höhepunkte der Aussagen der Doktoren Fricke, Bronsky und Kilvan, und zwar ohne noch einmal auf dem herumzureiten, was sie gesagt hatten. Er erinnerte sie an Lawrence Krigler, den Mann, der in der Industrie gearbeitet hatte und ihre schmutzigen Geheimnisse kannte. Er verbrachte zehn Minuten damit, gelassen über Leon Robilio zu reden, den Stimmlosen, der zwanzig Jahre damit verbracht hatte, für Tabak zu werben, und dann erkannte, wie korrupt die Industrie war.
Dann kam Rohr zum Thema der Jugendlichen. Um überleben zu können, muß Big Tobacco die Teenager ködern und dafür sorgen, daß auch die nächste Generation ihre Produkte kauft. Als hätte er ihre Unterhaltung im Geschworenenzimmer mitgehört, forderte Rohr die Geschworenen auf, sich zu erinnern, wie alt sie gewesen waren, als sie mit dem Rauchen anfingen.
Jeden Tag fangen dreitausend Jugendliche mit dem Rauchen an. Ein Drittel von ihnen wird schließlich daran sterben. Reichte das nicht? War es nicht endlich an der Zeit, diese reichen Konzerne zu zwingen, hinter ihren Produkten zu stehen? An der Zeit, ihnen einen Denkzettel zu erteilen? An der Zeit, dafür zu sorgen, daß sie die Finger von unseren Kindern lassen? An der Zeit, sie für die von ihren Produkten verursachten Schäden zahlen zu lassen?
Er wurde bissig, als er auf das Nikotin zu sprechen kam und die immer wiederholte Behauptung von Big Tobacco, daß es nicht süchtig mache. Frühere Drogenabhängige hatten ausgesagt, daß es leichter war, von Marihuana und Kokain loszukommen als von Zigaretten. Er wurde sogar noch bissiger, als er Jankle und seine Mißbrauchstheorie erwähnte.
Dann zwinkerte er einmal und war ein anderer Mensch. Er sprach über seine Mandantin, Mrs. Celeste Wood, eine gute Ehefrau, Mutter, Freundin, ein echtes Opfer der Zigarettenindustrie. Er sprach über ihren Mann, den
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