Das Urteil
Weshalb haben Sie den armen alten Herman ausgebootet?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Also gut. Wann können wir feiern?«
»Ich rufe Sie später an.«
Sie fuhr in einem Mietwagen davon und beobachtete jede Bewegung hinter sich. Ihr geleaster Wagen stand vor ihrer Wohnung; es war ihr einerlei, was aus ihm wurde. Auf dem Rücksitz lagen zwei mit Kleidungsstücken vollgestopfte Taschen, die einzigen persönlichen Gegenstände, die sie mitnehmen konnte, abgesehen von ihrem tragbaren Faxgerät. Die Möbel in der Wohnung würden demjenigen gehören, der sie auf einem Flohmarkt kaufte.
Sie fuhr kreuz und quer durch ein Baugelände, eine Tour, die sie gestern geprobt hatte für den Fall, daß ihr irgend jemand zu folgen gedachte. Fitchs Typen waren nicht hinter ihr. Dann fuhr sie gleichfalls kreuz und quer durch Nebenstraßen, bis sie am Gulfport Municipal Airport angekommen war, wo ein kleiner Lear-Jet wartete. Sie griff sich ihre beiden Taschen und schloß die Schlüssel im Wagen ein.
Swanson rief einmal an, konnte Fitch aber nicht erreichen. Er rief die Zentrale in Kansas City an, und drei Agenten wurden unverzüglich in das eine Stunde entfernte Columbia geschickt. Zwei weitere setzten sich an die Telefone und riefen die University of Missouri an und die Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, verzweifelt bemüht, jemanden ausfindig zu machen, der etwas wußte und bereit war zu reden. Im Telefonbuch von Columbia standen sechs Brants. Alle wurden mehr als einmal angerufen, und alle behaupteten, Gabrielle Brant nicht zu kennen.
Kurz nach eins bekam er Fitch endlich ans Telefon. Fitch hatte sich über eine Stunde in seinem Büro verbarrikadiert und keine Anrufe entgegengenommen. Swanson war unterwegs nach Missouri.
39
A ls das Lunchgeschirr abgeräumt worden war und die Raucher aus ihrem Raucherzimmer zurückkehrten, wurde allen klar, daß sie jetzt das tun mußten, wovon sie seit mehr als einem Monat geträumt hatten. Sie nahmen ihre Plätze rund um den Tisch ein und starrten den leeren Platz am Kopfende an, den bisher Herman so stolz okkupiert hatte.
»Ich glaube, wir brauchen einen neuen Obmann«, sagte Jerry.
»Und ich meine, daß sollte Nicholas sein«, setzte Millie rasch hinzu.
Es bestanden im Grunde keinerlei Zweifel darüber, wer der neue Obmann sein sollte. Niemand sonst wollte den Job, und Nicholas schien fast ebenso viel über den Prozeß zu wissen wie die Anwälte. Er wurde per Akklamation gewählt.
Er trat neben Hermans bisherigen Stuhl und faßte eine Liste von Richter Harkins Anweisungen zusammen: »Er will, daß wir uns das gesamte Beweismaterial einschließlich sämtlicher Dokumente ansehen, bevor wir mit der Abstimmung beginnen.« Nicholas drehte sich nach rechts und musterte einen Tisch in der Ecke, auf dem sich all die wundervollen Berichte und Untersuchungen türmten, die sich im Laufe der letzten vier Wochen angesammelt hatten.
»Ich habe nicht vor, drei Tage hier zu verbringen«, sagte Lonnie, während alle zu dem Tisch hinschauten. »Von mir aus können wir gleich abstimmen.«
»Nicht so schnell«, sagte Nicholas. »Dies ist ein komplizierter und überaus wichtiger Fall, und es wäre falsch, die Dinge zu überstürzen - ohne vorherige gründliche Erörterung.«
»Ich bin für Abstimmen«, sagte Lonnie.
»Und ich bin dafür, das zu tun, was der Richter verlangt. Wir können ihn für ein Gespräch hierher bitten, falls es erforderlich sein sollte.«
»Wir sollen doch nicht etwa das ganze Zeug da lesen?« fragte Sylvia, der Pudel. Lesen gehörte nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.
»Ich habe eine Idee«, sagte Nicholas. »Wie wär's, wenn wir uns jeder einen Bericht vornehmen, ihn überfliegen und dann allen anderen eine kurze Zusammenfassung liefern? Dann können wir Richter Harkin guten Gewissens sagen, daß wir uns das gesamte Beweismaterial angeschaut haben.«
»Glauben Sie wirklich, daß er das wissen will?« fragte Rikki Coleman.
»Vermutlich. Unser Spruch muß auf dem uns vorliegenden Beweismaterial beruhen - auf den Aussagen, die wir gehört, und den Unterlagen, die wir erhalten haben. Wir müssen zumindest den Versuch unternehmen, uns an seine Anweisungen zu halten.«
»Ich bin einverstanden«, sagte Millie. »Wir alle möchten nach Hause, aber wir sind verpflichtet, alles, was uns vorliegt, sorgfaltig in Erwägung zu ziehen.«
Damit waren alle anderen Proteste im Keim erstickt. Millie und Henry Vu holten die dicken Berichte und packten sie in die
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