Das Urteil
die Jury war noch nicht fertig.
»Und wir, die Geschworenen, entscheiden zugunsten der Klägerin, Celeste Wood, und erkennen auf eine Geldstrafe in Höhe von vierhundert Millionen Dollar.«
Vom Standpunkt eines Anwalts aus ist das Entgegennehmen eines Urteils fast eine Kunstform. Man darf nicht aufschreien oder zusammenzucken. Man darf sich nicht Trost oder Glückwünsche heischend umschauen. Man darf seinen Klienten nicht umarmen, weder triumphierend noch tröstend. Man muß vollkommen still sitzen bleiben, darf nur den Block anschauen, auf dem man gerade schreibt, und so tun, als hätte man genau gewußt, wie das Urteil ausfallen würde.
Die Kunstform wurde entweiht. Cable sackte zusammen, als hätte ihm jemand in den Bauch geschossen. Seine Kollegen starrten die Geschworenen offenen Mundes an, die Luft strömte aus ihren Lungen, ihre Augen wurden zu ungläubigen Schlitzen. Von irgendeinem der Verteidigungsanwälte im zweiten Glied hinter Cable war ein »Oh, mein Gott!« zu hören.
Rohr ließ sämtliche Zähne sehen, als er rasch seinen Arm um Celeste Wood legte, die angefangen hatte zu weinen. Die anderen Prozeßanwälte umarmten sich in stiller Gratulation. Oh, das Hochgefühl des Sieges, die Aussicht, sich vierzig Prozent dieses Urteils teilen zu können!
Nicholas setzte sich und tätschelte Loreen Dukes Bein. Es war vorüber, endlich vorüber.
Richter Harkin war plötzlich ganz Geschäftigkeit, als wäre dies nur ein Urteil unter vielen. »Und nun, meine Damen und Herren, kommen wir zur Bestätigung. Das bedeutet, daß ich jeden von Ihnen einzeln fragen werde, ob er diesem Urteil seine Stimme gegeben hat. Ich beginne mit Mrs. Loreen Duke. Bitte erklären Sie laut und deutlich fürs Protokoll, ob Sie für dieses Urteil gestimmt haben oder nicht.«
»Das habe ich«, sagte sie stolz.
Einige der Anwälte machten sich Notizen. Andere starrten einfach ins Leere.
»Mr. Easter? Haben Sie für dieses Urteil gestimmt?«
»Ja, das habe ich.«
»Mrs. Dupree?«
»Ja, Sir. Ich habe es getan.«
»Mr. Savelle?«
»Nein. Ich habe nicht dafür gestimmt.«
»Mr. Royce? Haben Sie dafür gestimmt?«
»Ja. Ich habe es getan.«
»Ms. Weese?«
»Ich habe es getan.«
»Mr. Vu?«
»Ich habe es getan.«
»Mr. Lonnie Shaver?«
Lonnie erhob sich ein wenig und sagte so laut, daß alle Welt es hören konnte: »Nein, Sir, Euer Ehren. Ich habe nicht für dieses Urteil gestimmt, und ich bin absolut nicht damit einverstanden.«
»Danke. Mrs. Rikki Coleman? Haben Sie für dieses Urteil gestimmt?«
»Ja, Sir.«
»Mrs. Gladys Card?«
»Nein, Sir.«
Plötzlich flackerte für Cable, Pynex, Fitch und die gesamte Tabakindustrie ein Fünkchen Hoffnung auf. Drei Geschworene hatten sich bisher ge gen das Urteil ausgesprochen. Nur noch einer, und die Jury würde zu weiteren Beratungen zurückgeschickt werden. Jeder Prozeßanwalt konnte Geschichten von Jurys erzählen, deren Urteile sich in nichts auflösten, nachdem sie verkündet worden waren und die namentliche Befragung stattfand. Vor Gericht, unter den Augen von Anwälten und Mandanten, hörte sich ein Urteil ganz anders an als nur Minuten zuvor in der Sicherheit des Geschworenenzimmers.
Aber die magere Aussicht auf ein Wunder wurde vom Pudel und von Jerry in den Boden gestampft. Beide bestätigten das Urteil.
»Sieht so aus, als wäre das Urteil mit neun gegen drei Stimmen gefällt worden«, sagte Seine Ehren. »Alles andere scheint in Ordnung zu sein. Irgendwelche Einwände, Mr. Rohr?«
Rohr schüttelte nur den Kopf. Er konnte den Geschworenen jetzt nicht danken, obwohl er am liebsten über die Schranke gesprungen wäre und ihnen die Füße geküßt hätte. Er saß selbstgefällig auf seinem Stuhl, mit einem schweren Arm um Celeste Wood.
»Mr. Cable?«
»Nein, Sir«, brachte Cable heraus. Oh, die Dinge, die er den Geschworenen nur zu gern an den Kopf geworfen hätte, diesen Idioten.
Die Tatsache, daß Fitch nicht im Gerichtssaal war, war für Nicholas äußerst beunruhigend. Seine Abwesenheit bedeutete, daß er irgendwo draußen im Dunkeln war, lauernd und wartend. Wieviel wußte Fitch inzwischen? Vermutlich zuviel. Nicholas brannte darauf, den Gerichtssaal zu verlassen und so schnell wie möglich aus der Stadt zu verschwinden.
Dann begann Harkin mit einem weitschweifigen Dankeschön, würzte es mit einer erhebenden Prise Patriotismus und Bürgerpflicht, brachte jedes Klischee an, das er je von einem Richterpodium gehört hatte, ermahnte sie, zu niemandem über ihre
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