Das Urteil
Lächeln nicht unterdrücken, als er diese Eröffnung vorbereitete, würde die Anklage den Geschworenen Le ute präsentieren, die früher einmal für die Tabakindustrie gearbeitet hatten. Schmutzige Wäsche würde ans Licht kommen, und zwar hier in diesem Gerichtssaal. Sie konnten sich auf vernichtendes Beweismaterial gefaßt machen.
Kurzum, die Anklage würde beweisen, daß Zigarettenrauch, weil er natürliche Karzinogene und Pestizide und radioaktive Partikel und asbestähnliche Fasern enthält, Lungenkrebs verursacht.
Zu diesem Zeitpunkt zweifelte im Saal kaum jemand daran, daß Wendall Rohr das nicht nur beweisen konnte, sondern ihm der Beweis auch nicht sonderlich schwerfallen würde. Er hielt einen Moment inne, zupfte mit allen zehn gedrungenen Fingern an seiner Fliege, warf einen Blick auf seine Notizen und begann dann, sehr ernst, über Jacob Wood zu sprechen, den Verstorbenen. Geliebter Ehemann und Vater, unermüdlicher Arbeiter, frommer Katholik, Mitglied des Softballteams der Kirche, Kriegsveteran. Hatte als Junge angefangen zu rauchen und war sich, wie damals jedermann, der Gefahren nicht bewußt gewesen. Ein Großvater. Und so weiter. Einen Moment lang übertrieb es Rohr ein bißchen mit der Dramatik, schien sich dessen aber durchaus bewußt zu sein. Er kam kurz auf das Thema Entschädigung zu sprechen. Dies war ein großer Prozeß, verkündete er, ein Prozeß mit weitreichenden Konsequenzen. Die Anklage rechnete mit einer Menge Geld und würde sie auch fordern. Nicht nur einen Schadensersatz - für den ökonomischen Wert des Lebens von Jacob Wood und den Verlust seiner Liebe und Zuwendung, den die Angehörigen erlitten hatten - sondern auch ein hohes Strafgeld.
Rohr redete eine Weile über Strafgelder, wobei er ein paarmal den Faden zu verlieren schien, und den meisten Geschworenen war klar, daß er von der Vorstellung einer immensen Entschädigungssumme für seine Mandantin so hingerissen war, daß er ganz aus dem Tritt kam.
Richter Harkin hatte schriftlich jeder Seite für ihr Eröffnungsplädoyer eine Stunde zugestanden. Und er hatte, gleichfalls schriftlich, damit gedroht, jeden Anwalt auszuschließen, der diese Zeit überzog. Obwohl Rohr unter der weit verbreiteten Anwaltskrankheit litt, zuviel des Guten zu tun, vermied er es doch, mit der Uhr des Richters in Konflikt zu geraten. Er endete nach fünfzig Minuten mit einem eindringlichen Appell an die Gerechtigkeit, dankte den Geschworenen für ihre Aufmerksamkeit, lächelte, ließ sein Gebiß klicken und setzte sich.
Fünfzig Minuten auf einem Stuhl ohne Unterhaltung und nur sehr wenig Bewegung fühlen sich an wie Stunden, und Richter Harkin wußte das. Er ordnete eine Pause von fünfzehn Minuten an, nach der die Verteidigung ihr Eröffnungsplädoyer halten würde.
Durwood Cable war in weniger als einer halben Stunde mit seinen Ausführungen fertig. Er versicherte den Geschworenen kühl und selbstsicher, daß Pynex über seine eigenen Sachverständigen verfügte, Forscher und Wissenschaftler, die eindeutig beweisen würden, daß Zigaretten keineswegs Lungenkrebs verursachen. Die Skepsis der Geschworenen war einkalkuliert, und Cable bat sie nur um ihre Geduld und Unvoreingenommenheit. Sir Durr sprach, ohne Notizen zu Hilfe zu nehmen, und bohrte jedes seiner Worte in die Augen eines Geschworenen. Sein Blick bewegte sich die erste Reihe entlang, dann ein wenig höher zur zweiten, wobei er jedem dieser interessierten Blicke einzeln standhielt. Seine Stimme und seine Augen waren fast hypnotisch. Diesem Mann wollte man einfach glauben.
6
Z ur ersten Krise kam es beim Lunch. Richter Harkin unterbrach um zehn Minuten nach zwölf für die Mittagspause, und alle Anwesenden saßen still da, während die Geschworenen den Saal verließen. Lou Dell nahm sie auf dem engen Korridor in Empfang und konnte es kaum abwarten, sie ins Geschworenenzimmer zu scheuchen. »Setzen Sie sich«, sagte sie. »Der Lunch muß jeden Augenblick kommen. Frischer Kaffee ist auch da.« Sobald alle zwölf im Zimmer waren, ging sie hinaus, um nach den drei Stellvertretern zu sehen, die, von den anderen getrennt, in einem kleineren Zimmer am gleichen Korridor untergebracht waren. Nachdem alle fünfzehn an Ort und Stelle waren, kehrte sie an ihren Platz zurück und funkelte Willis an, den schwachsinnigen Deputy, der Befehl hatte, mit geladener Waffe am Gürtel neben ihr zu stehen und irgend jemanden zu beschützen.
Die Geschworenen verteilten sich langsam im Zimmer, einige streckten
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