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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sich oder gähnten, andere machten sich noch miteinander bekannt, die meisten plauderten über das Wetter. Bei einigen waren die Bewegungen und das Geplauder recht steif; ein Verhalten, mit dem man rechnen mußte bei Leuten, die plötzlich mit ihnen bisher völlig Fremden in einen Raum gepfercht worden waren. Da sie ohnehin nichts anderes tun konnten als essen, wurde der bevorstehende Lunch zu einem wichtigen Ereignis. Was würden sie vorgesetzt bekommen? Das Essen würde doch bestimmt ganz annehmbar sein.
    Herman Grimes setzte sich ans Kopfende des Tisches, den Platz, der, wie er fand, dem Obmann zustand, und unterhielt sich bald angeregt mit Millie Dupree, einer freundlichen Seele von fünfzig, die einen anderen Blinden kannte. Nicholas Easter machte sich mit Lonnie Shaver bekannt, dem einzigen Schwarzen in der Jury, der eindeutig nicht als Geschworener fungieren wollte. Shaver war Geschäftsführer in einem zu einer großen Regionalkette gehörenden Lebensmittelgeschäft und der hochrangigste Schwarze in der ganzen Firma. Er war nervös und zappelig, und es fiel ihm schwer, sich zu entspannen. Der Gedanke, die nächsten vier Wochen fern von seinem Laden verbringen zu müssen, war beängstigend.
    Zwanzig Minuten vergingen, und kein Lunch kam. Um genau halb eins sagte Nicholas quer durchs Zimmer: »Hey, Herman, wo bleibt unser Essen?«
    »Ich bin nur der Obmann«, erwiderte Herman mit einem Lächeln, während im Zimmer plötzlich Stille herrschte.
    Nicholas ging zur Tür, öffnete sie und rief Lou Dell. »Wir haben Hunger«, sagte er.
    Sie senkte langsam ihr Taschenbuch, musterte die elf anderen Gesichter und sagte: »Das Essen ist unterwegs.«
    »Wo kommt es her?« fragte er sie.
    »Von O'Reilly's Deli. Gleich um die Ecke.« Lou Dell gefielen die Fragen nicht.
    »Hören Sie, wir sind hier eingesperrt wie eine Herde Haustiere«, sagte Nicholas. »Wir können nicht wie normale Menschen losgehen und essen. Ich verstehe nicht, weshalb man uns nicht soweit vertraut, daß wir die Straße hinuntergehen und einen anständigen Lunch zu uns nehmen können, aber der Richter will es ja wohl so.« Nicholas trat einen Schritt näher und funkelte auf die grauen Ponyfransen über Lou Dells Augen hinunter. »Es wird nicht jeden Tag so einen Schlamassel mit dem Lunch geben, okay?«
    »Okay.«
    »Ich schlage vor, Sie hängen sich ans Telefon und fragen mal nach, wo unser Lunch bleibt, sonst werde ich wohl ein paar Worte mit Richter Harkin reden müssen.«
    Die Tür wurde geschlossen, und Nicholas ging zur Kaffeekanne hinüber.
    »Waren Sie nicht ein bißchen grob?« fragte Millie Dupree.
    Die anderen hörten zu.
    »Vielleicht, und wenn es so war, werde ich mich entschuldigen. Aber wenn wir nicht von Anfang an dafür sorgen, daß alles richtig läuft, dann vergessen sie uns einfach.« »Es ist nicht ihre Schuld«, sagte Herman.
    »Es ist ihr Job, für uns zu sorgen.« Nicholas ging zum Tisch und ließ sich neben Herman nieder. »Wissen Sie eigentlich, daß sich die Geschworenen bei praktisch jedem anderen Prozeß wie normale Menschen bewegen und zum Essen rausgehen dürfen?
    Was meinen Sie, weshalb wir diese Geschworenen-Buttons tragen?« Die anderen bewegten sich näher an den Tisch heran. »Woher wissen Sie das?« fragte Millie Dupree von der anderen Tischseite aus.
    Nicholas zuckte die Achseln, als wüßte er eine Menge, dürfte aber vielleicht nicht darüber sprechen. »Ich weiß einiges über das System.«
    »Und woher?« fragte Herman.
    Nicholas machte eine effektvolle Pause, dann sagte er: »Ich habe zwei Jahre Jura studiert.« Er trank langsam einen Schluck Kaffee, während die anderen dieses interessante Hintergrunddetail überdachten.
    Easters Status unter seinen Kollegen stieg sofort. Daß er freundlich und hilfsbereit war, höflich und intelligent, hatte er bereits bewiesen, aber jetzt wurde er wortlos anerkannt, weil er sich mit dem Gesetz auskannte.
    Um Viertel vor eins war immer noch kein Essen gekommen.
    Nicholas brach eine Unterhaltung abrupt ab und öffnete die Tür.
    Auf dem Korridor schaute Lou Dell auf die Uhr. »Ich habe Willis losgeschickt«, sagte sie nervös. »Es sollte jetzt jeden Augenblick da sein. Tut mir wirklich leid.«
    »Wo ist die Herrentoilette?« fragte Nicholas. »Rechts, gleich um die Ecke«, sagte sie, erleichtert die Richtung weisend. Er ging gar nicht erst hinein, sondern ging statt dessen in aller Ruhe die Hintertreppe hinunter und verließ das Gerichtsgebäude.
    Dann folgte er zwei Blocks

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