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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gleichfalls aus Hattiesburg, aber von einem anderen Anschluß. »Ich habe einen neuen Tip für Sie. Sie werden begeistert sein.«
    Kaum atmend sagte Fitch: »Ich höre.«
    »Wenn die Geschworenen heute hereinkommen, werden sie sich nicht hinsetzen. Raten Sie mal, was sie tun werden?«
    Fitchs Gehirn erstarrte. Er konnte die Lippen nicht bewegen. Er wußte, daß sie keine intelligente Vermutung von ihm erwartete. »Keine Ahnung«, sagte er.
    »Sie werden das Treuegelöbnis ablegen.«
    Fitch warf Konrad einen verblüfften Blick zu.
    »Haben Sie das, Fitch?« fragte sie fast spöttisch.
    »Ja.«
    Die Verbindung war unterbrochen.
    Ihr dritter Anruf galt der Kanzlei von Wendall Rohr, der, seiner Sekretärin zufolge, sehr beschäftigt und unerreichbar war. Marlee hatte dafür vollstes Verständnis, erklärte aber, sie hätte eine wichtige Nachricht für Mr. Rohr. Die Nachricht würde in ungefähr fünf Minuten per Fax eingehen, also würde die Sekretärin bitte so freundlich sein, sie Mr. Rohr auszuhändigen, bevor er sich auf den Weg zum Gericht machte. Die Sekretärin erklärte sich widerstrebend dazu bereit, und fünf Minuten später fand sie in der Empfangslade des Faxgeräts ein Blatt Papier. Es enthielt keine Übermittlungsnummer und auch sonst keinerlei Hinweis darauf, von wo oder von wem das Fax kam. Auf der Mitte des Blattes stand, einzeilig mit der Schreibmaschine geschrieben, folgende Nachricht.
    WR: Geschworener Nummer zwei, Easter, wird heute ein blaues Jeanshemd tragen, eine ausgeblichene Jeanshose, weiße Socken, alte Nikes. Er liest gern Rolling Stone, und er wird sich als sehr patriotisch erweisen. MM
    Die Sekretärin stürzte damit in das Büro von Rohr, der gerade dabei war, seinen Aktenkoffer für die Schlacht des Tages zu packen. Rohr las die Nachricht, verhörte die Sekretärin und rief dann seine Kollegen zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen.
    Die Stimmung konnte nicht eigentlich als festlich bezeichnet werden, zumal nicht bei zwölf Leuten, die gegen ihren Willen festgehalten wurden, aber es war Freitag, und als sie hereinkamen und sich gegenseitig begrüßten, waren die Gespräche spürbar lockerer. Nicholas saß am Tisch, in der Nähe von Herman Grimes und gegenüber von Frank Herrera, und wartete auf eine Pause in dem müßigen Geplauder. Er sah Herman an, der wie üblich an seinem Laptop arbeitete. Er sagte: »Hey, Herman, ich habe eine Idee.«
    Inzwischen hatte Herman die elf Stimmen seinem Gedächtnis einverleibt, und seine Frau hatte Stunden damit verbracht, ihm die dazugehörigen Personen zu beschreiben. Easters Stimme kannte er besonders gut. »Ja, Nicholas?«
    Nicholas hob die Stimme, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. »Als Kind bin ich auf eine kleine Privatschule gegangen, und dort haben wir jeden Tag mit dem Treuegelöbnis begonnen. Und jedesmal, wenn ich am frühen Morgen eine Fahne sehe, überkommt mich das Verlangen, das Gelöbnis abzulegen.« Die meisten der Geschworenen hörten zu. Der Pudel war auf eine Zigarette hinausgegangen. »Und im Gerichtssaal steht diese wunderschöne Fahne hinter dem Richter, und alles, was wir tun, ist, daß wir sie anschauen.«
    »Mir ist sie nicht aufgefallen«, sagte Herman. »Sie wollen das Treuegelöbnis da draußen ablegen, vor all den Leuten im Saal?« fragte Herrera, Napoleon, der Colonel im Ruhestand.
    »Ja. Was spricht dagegen, daß wir das einmal in der Woche tun?«
    »Dagegen ist nichts einzuwenden«, sagte Jerry Fernandez, der insgeheim auf das Ereignis präpariert worden war.
    »Aber was ist mit dem Richter?« fragte Mrs. Gladys Card.
    »Was könnte er dagegen haben? Weshalb sollte überhaupt irgend jemand etwas dagegen haben, wenn wir einen Augenblick stehen bleiben und unsere Fahne ehren?«
    »Das soll doch nicht etwa ein Spielchen sein, oder?« fragte der Colonel.
    Nicholas war plötzlich verletzt. Er schaute mit umflorten Augen über den Tisch und sagte: »Mein Vater ist in Vietnam gefallen. Er hat einen Orden bekommen. Die Fahne bedeutet mir sehr viel.«
    Und damit war die Sache abgemacht.
    Richter Harkin begrüßte sie mit einem freundlichen Freitagslächeln, als sie einer nach dem anderen durch die Tür hereinkamen. Er war darauf vorbereitet, durch seine Standardroutine über unerlaubte Kontakte zu hetzen und dann mit der Zeugenvernehmung weiterzumachen. Er brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, daß sie sich nicht wie üblich hinsetzten. Sie blieben stehen, bis alle zwölf ihre Plätze erreicht hatten, dann

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