Das Urteil
Angriff über. Ihr Gesicht färbte sich rot, und sie schaffte es, die große Portion hinunterzuschlucken, die sie noch im Mund hatte. »Vielleicht gefallen mir Ihre auch nicht«, sagte sie wütend, während die anderen die Köpfe senkten. Alle warteten darauf, daß der Moment vorüberging.
»Ich esse jedenfalls lautlos und behalte mein Essen im Mund«, sagte Jerry. Er war sich durchaus bewußt, wie kindisch sich das anhörte.
»Ich auch«, sagte Stella.
»Nein, das tun Sie nicht«, sagte Napoleon, der das Pech hatte, neben Loreen Duke und Stella genau gegenüber zu sitzen. »Sie machen mehr Lärm als eine Dreijährige.«
Herman räusperte sich laut und sagte: »Laßt uns jetzt alle tief durchatmen. Und unseren Lunch in Ruhe essen.«
Kein weiteres Wort wurde gesprochen, während sie sich bemühten, den Rest ihres Essens hinunterzubringen. Jerry und der Pudel verschwanden als erste ins Raucherzimmer, gefolgt von Nicholas Easter, der nicht rauchte, aber einen Szenenwechsel brauchte. Draußen fiel ein leichter Regen, und der tägliche Mittagsspaziergang mußte ausfallen.
Sie trafen sich in dem kleinen, quadratischen Zimmer mit Klappstühlen und einem Fenster, das sich öffnen ließ. Angel Weese, die stillste der Geschworenen, gesellte sich kurz darauf zu ihnen. Stella, die vierte Raucherin, war beleidigt und hatte beschlossen, zu warten, bis die anderen verschwunden waren.
Der Pudel hatte nichts dagegen, über den Prozeß zu reden. Und Angel auch nicht. Was hatten sie sonst schon gemeinsam? Sie schienen mit Jerry übereinzustimmen, daß jedermann wußte, daß Zigaretten Lungenkrebs verursachen. Also wenn man raucht, dann tut man es auf eigene Gefahr.
Weshalb den Erben eines toten Mannes, der fünfunddreißig Jahre geraucht hatte, Millionen zuschustern? Man sollte es eigentlich besser wissen.
12
O bwohl die Hulics gern einen Jet gehabt hätten, einen eleganten kleinen Jet mit Ledersitzen und zwei Piloten, mußten sie sich fürs erste mit einer alten zweimotorigen Cessna begnügen, die Cal fliegen konnte, wenn die Sonne schien und der Himmel wolkenlos war. Nachts traute er sich damit nicht los, erst recht nicht zu einem so überfüllten Flugplatz wie Miami; also stiegen sie am Gulfport Municipal Airport in eine Kurzstreckenmaschine nach Atlanta. Von dort aus flogen sie Erster Klasse nach Miami International, wobei Stella in weniger als einer Stunde zwei Martinis und ein Glas Wein hinunterkippte. Es war eine lange Woche gewesen. Ihre Nerven waren vom Streß der Bürgerpflicht angekratzt.
Sie warfen ihr Gepäck in ein Taxi und ließen sich nach Miami Beach bringen, wo sie in einem neuen Sheraton-Hotel abstiegen.
Marlee folgte ihnen. Sie hatte in der Kurzstreckenmaschine hinter ihnen gesessen und war von Atlanta aus Economy Class geflogen. Ihr Taxi wartete, während sie sich im Foyer aufhielt, bis sie sicher war, daß sie sich eingetragen hatten. Dann nahm sie sich in einem Urlauberhotel, eine Meile den Strand hinunter, ein Zimmer. Sie wartete mit ihrem Anruf bis fast elf Uhr am Freitag abend.
Stella war müde gewesen und hatte nur einen Drink und Essen im Zimmer gewollt. Mehrere Drinks. Morgen würde sie einkaufen gehen, aber jetzt brauchte sie Flüssigkeit. Als das Telefon läutete, lag sie flach auf dem Bett, kaum noch bei Bewußtsein. Cal, nur mit rutschenden Boxershorts bekleidet, griff nach dem Hörer. »Hallo?«
»Ja, Mr. Hulic«, kam die sehr entschiedene, professionell klingende Stimme einer jungen Dame. »Sie müssen vorsichtig sein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Man ist Ihnen gefolgt.«
Cal rieb sich die roten Augen. »Wer spricht da?«
»Bitte hören Sie mir genau zu. Ein paar Männer beschatten Ihre Frau. Sie sind hier in Miami. Sie wissen, daß Sie mit Flug Nummer 4476 von Biloxi nach Atlanta und mit Delta, Flug Nummer 533, nach Miami geflogen sind, und sie wissen genau, in welchem Zimmer Sie sich jetzt aufhalten. Sie beobachten jeden Ihrer Schritte.«
Cal betrachtete den Telefonhörer und schlug sich leicht gegen die Stirn. »Warten Sie einen Moment. Ich…«
»Und morgen werden sie wahrscheinlich Ihr Telefon anzapfen«, setzte sie hilfreich hinzu. »Also seien Sie bitte sehr vorsichtig.«
»Wer sind diese Leute?« fragte er laut, und Stella hob den Kopf ein Stückchen. Dann schaffte sie es, ihre nackten Füße auf den Fußboden zu schwingen und ihren Mann mit glasigen Augen anzustarren.
»Es sind Agenten, die von den Tabakkonzernen angeheuert wurden«, war die Antwort. »Und sie schrecken
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