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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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vor nichts zurück.«
    Die junge Dame legte auf. Cal betrachtete abermals den Hörer, dann sah er seine Frau an - ein trauriger Anblick. Sie griff nach den Zigaretten. »Wer war das?« fragte sie mit schwerer Zunge, und Cal wiederholte jedes Wort.
    »Oh, mein Gott!« kreischte sie und stolperte zu dem Tisch neben dem Fernseher, wo sie eine Weinflasche ergriff und sich ein weiteres Glas eingoß. »Weshalb sind sie hinter mir her?« fragte sie, sank in einen Sessel und verschüttete billigen Cabernet auf ihren Hotelbademantel. »Weshalb ausgerechnet hinter mir?«
    »Sie hat nicht gesagt, daß sie dich umbringen wollen«, erklärte er mit einem leichten Anflug des Bedauerns.
    »Weshalb verfolgen sie mich?« Sie war den Tränen nahe.
    »Das weiß ich doch nicht, verdammt noch mal«, knurrte Cal und holte sich ein weiteres Bier aus der Minibar. Sie tranken ein paar Minuten lang schweigend, beide verstört, und keiner wollte den anderen ansehen.
    Dann läutete das Telefon wieder, und sie stieß einen Schrei aus. Cal nahm den Hörer ab und sagte langsam: »Hallo?«
    »Ich bin's noch mal«, kam dieselbe Stimme, diesmal vergnügt. »Ich habe vorhin etwas vergessen. Rufen Sie nicht die Polizei oder so etwas. Diese Leute tun nichts Illegales. Am besten tun Sie einfach so, als wäre alles in bester Ordnung, okay?«
    »Wer sind Sie?« fragte er.
    »Gute Nacht.« Und sie hatte aufgelegt.
    Listing Foods besaß nicht nur einen Jet, sondern drei, von denen einer am frühen Samstag morgen losgeschickt wurde, um Mr. Lonnie Shaver abzuholen und nach Charlotte zu bringen, allein. Seiner Frau war es nicht gelungen, einen Babysitter für die drei Kinder zu finden. Die Piloten begrüßten ihn herzlich und boten ihm vor dem Start Kaffee und Obst an. Ken holte ihn mit einem Firmenwagen mit Fahrer am Flughafen ab, und fünfzehn Minuten später trafen sie in der Zentrale von Super-House in einem Vorort von Charlotte ein. Lonnie wurde von Ben begrüßt, dem zweiten Mann von dem Treffen in Biloxi, und Ken und Ben veranstalteten gemeinsam eine Führung durch ihre Zentrale. Das Gebäude war neu, ein eingeschossiger Ziegelbau mit einer Unmenge von Glas, und unterschied sich in nichts von einem Dutzend anderen, an denen sie auf der Fahrt vom Flughafen vorbeigekommen waren. Die Korridore waren breit, gefliest und makellos sauber; die Büros waren steril und mit Technologie vollgestopft. Lonnie konnte beinahe hören, wie hier Geld gedruckt wurde.
    Sie tranken Kaffee mit George Teaker, Generaldirektor, in seinem großen, auf einen kleinen Innenhof mit Plastikgrün hinausgehenden Büro. Teaker war jugendlich, tatkräftig, in Jeans (seiner üblichen Samstags-Bürokleidung, erklärte er). Sonntags trug er einen Jogginganzug. Er servierte Lonnie die Parteilinie - die Gesellschaft wuchs wie verrückt, und sie wollten ihn an Bord haben. Dann verschwand Teaker zu einer Sitzung, In einem kleinen, weißen, fensterlosen Konferenzzimmer wurde Lonnie an einen Tisch gesetzt, mit Kaffee und Doughnuts vor sich. Ben verschwand, aber Ken blieb an seiner Seite. Die Lichter gingen aus, und auf der Wand erschien ein Bild. Es war ein halbstündiges Video über Super-House seine kurze Geschichte, seine gegenwärtige Marktposition, seine ehrgeizigen Wachstumspläne. Und seine Mitarbeiter, das ›wahre Kapital‹.
    Dem Video zufolge hatte Super-House vor, sowohl den Umsatz als auch die Anzahl der Läden in den nächsten sechs Jahren um jeweils fünfzehn Prozent zu steigern. Die Profite würden atemberaubend sein.
    Das Licht ging an, und ein ernster junger Mann mit einem schnell wieder vergessenen Namen erschien und ließ sich an der anderen Seite des Tisches nieder. Seine Spezialität waren die Sozialleistungen, und er hatte alle Antworten parat über Krankenversicherung, Rentenpläne, Urlaub, Feiertage, Beurlaubung wegen Krankheit, Aktienvorkaufsrecht für Mitarbeiter. All das stand in einer der Broschüren auf dem Tisch vor Lonnie, er konnte es also später in Ruhe nachlesen.
    Nach einem ausgedehnten Lunch mit Ben und Ken in einem protzigen Vorstadtrestaurant kehrte Lonnie für ein paar weitere Sitzungen in den Konferenzraum zurück. Bei einer davon ging es um das Trainingsprogramm, das sie für ihn in Erwägung zogen. Die nächste, wieder per Video präsentiert, umriß die Strukturen der Firma im Verhältnis zu ihrem Mutterkonzern und der Konkurrenz. Erschöpfung setzte ein. Für einen Mann, der die ganze Woche damit verbracht hatte, zuzuhören, wie Anwälte mit Experten

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