Das Urteil
»in die Wolle gekriegt« hatten.
Das war Munition, aber kein rauchender Revolver.
Dr. Saul Heffler war einer der Ärzte aus Ken Lightners Anamnesebogen, den dieser »versehentlich« auf der Bank vergessen hatte, damit Hardy ihn finden und einstecken konnte. Heffler hatte seine Praxis in einem einstöckigen Bürogebäude in der Arguello Street, auf halbem Weg von der Innenstadt zu Hardys Haus. Der Arzt und der Rechtsanwalt hatten die ganze Woche lang über am Telefon Nachlaufen gespielt, und jetzt war es an der Zeit, dieses Spielchen zu beenden, selbst wenn das bedeuten sollte, daß Hardy ein Weilchen im Wartezimmer sitzen mußte.
Die Götter waren ihm wohlgesinnt, und direkt vor der Praxis des Arztes wurde ein Parkplatz frei, als Hardy vorfuhr. Er betrachtete dies als ein gutes Omen.
Die Sprechstundenhilfe in der Anmeldung war angenehm unbürokratisch und teilte Hardy mit, daß der Herr Doktor wahrscheinlich in einer Stunde ein bißchen Zeit für ihn erübrigen könnte. Wäre das okay?
Hardy spazierte hoch zur Clement Street und trank eine Tasse Eiskaffee an einem Tisch draußen auf dem Bürgersteig, um die Müdigkeit abzuwehren, die unweigerlich dem Wein zum Mittagessen folgte, kaufte dann bei einem Straßenhändler ein Paar Ohrringe für Frannie.
Er liebte die untere Clement Street, hatte sie immer in ihren verschiedenen Inkarnationen geliebt, zuerst als russische Enklave mit Piroggen und Antiquitätenläden, dann als eine aufgemotzte - aber nicht allzu aufgemotzte - Haight Street mit vielen Hippies, dem Dunst von Räucherstäbchen und vielen Cafes, und jetzt als belebter orientalischer Basar, wo in Tee geräucherte Enten in den Schaufenstern hingen und die leicht fauligen, aber dennoch appetitanregenden vermischten Gerüche von gebratenem Fleisch, rohem Fisch und Krebsen und Abfall in der Luft hingen.
Hardy flanierte im grellen Sonnenschein und freute sich an den Gerüchen und an der lauen Brise, kaufte sich ein frisch gedünstetes Schweinefleischbao und verzehrte es gutgelaunt. Er sah einen leuchtend türkisfarbenen Kinderkimono in einem Schaufenster und ging in den winzigen Laden, um ihn - zusammen mit einem winzigen Seidenhemdchen für seinen kleinen Sohn - für Rebecca zu erstehen.
Er würde Frannie dafür entschädigen. Es würden wieder andere Zeiten kommen. Er war sich nicht sicher, wie er es anstel len wollte, aber er würde nicht zulassen, daß irgend etwas -nicht David, nicht Jennifer, nicht Frustration, Angst oder Schweigen - sich zwischen die stellte und sie trennte.
Drei Minuten später stand er wieder in der Praxis von Dr. Heffler, und die Sprechstundenhilfe sagte zu ihm, er könne gleich ins Behandlungszimmer gehen.
In D r. Hefflers kleinem, aber hell ausgeleuchteten Sprechzimmer hingen drei Approbationsurkunden und ungefähr sechshundert in kleine Bilderrahmen montierte künstliche Fliegen an der Wand. Der Arzt war etwa Mitte Fünfzig mit einem graumelierten Wuschelkopf und einem glatten, faltenlosen Gesicht - ein Schuß Navajo vielleicht? - zu einem hochaufgeschossenen, schlaksigen Körperbau. Er lächelte freundlich.
Hardy erklärte, worum es ging. Schließlich war er Jennifers Anwalt, der sich um ihre Verteidigung kümmerte. Er wollte den Herrn Doktor fragen, ob er ihm vielleicht ein paar Sachen bestätigen könne. Er zeigte Dr. Heffler das von Jennifer unter schriebene Einverständnis, das ihren Arzt von der Schweige pflicht entband. ( Hardy hatte zu Jennifer gesagt, er brauche ihre Behandlungsunterlagen im Zusammenhang mit dem, was in Costa Rica passiert war.) Der Arzt sagte, er werde ihm gerne behilflich sein. Was wollte Hardy wissen? Hardy sagte es ihm.
» Das war vor vier Jahren? Vor fünf? Ich könnte nicht sagen, daß ich mich auf Anhieb an sie erinnere. Ich lasse Joanie die Unterlagen raussuchen. Wir haben die Kartei archiviert. Dauert keine zwei Minuten.«
Sie warteten und unterhielten sich übers Fischen. Dr. Heffler fuhr morgen früh zu einem sechstägigen Angelurlaub nach Alaska, wollte einige der riesigen Lachse fangen, die es da oben gab, vielleicht auch ein paar Lachsforellen. Hardy hielt sich die Hand auf den Bauch. »Bitte erzählen Sie mir nichts von Lachs. Ich glaube, ich habe mein zulässiges Höchstgewicht erreicht.«
Joanie kam ins Zimmer, reichte dem Arzt die Unterlagen und ging wieder. Dr. Heffler klappte die Akte auf und blätterte ein wenig herum, schaute ernster drein. »Man will den Leuten ja glauben können. Man fragt sich, wieviel davon man wirklich
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