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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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sie war, wäre sie besser gerüstet, damit klarzukommen. Zu hinterfragen, wie sie sich fühlte, mußte nicht notwendigerweise für sie und Dismas oder für die Kinder bedrohlich sein. Sie liebte sie alle -ihren Mann und ihre Kinder. Darum ging es überhaupt nicht.
    Es ging um das, was sie Jennifer gegenüber angedeutet hatte - daß es einfach so viel gab, bei dem sie es nicht geschafft hatte, sich genügend Zeit zu nehmen. Sie war drauf und dran gewesen, völlig aus den Augen zu verlieren, wer sie war und was eigentlich aus Francine Rose McGuire Cochran (jetzige Hardy) geworden war, und wie all das gekommen war. Und wie sie damit zurechtkam.
    War sie denn bloß ein Anhängsel des jeweiligen Mannes, mit dem sie zusammen war, die Mutter seiner Kinder? Sie hatte bei Dismas eigentlich nie dieses Gefühl gehabt. Sie hatte auch bei Eddie nicht dieses Gefühl gehabt. Ihr Leben mit Eddie war ein permanentes Abenteuer gewesen. Eddie hatte eben mit der Graduate School anfangen wollen, als er umgebracht worden war. Sie hatten Geld gespart für alle möglichen Sachen, hatten neue Orte entdeckt, einander entdeckt.
    Dann, urplötzlich und ohne Warnung, war Eddie weg. Und dann war Dismas da. Nicht genau an der Stelle, die Eddie eingenommen hatte, aber doch nahe dran. Und jetzt, zwei Jahre -fünf Minuten? - später, war sie eine Mutter und Hausfrau ohne Geldsorgen, mit einem Dismas, der bereits alle guten Restaurants und tollen Plätze kannte, bereits alle Entdeckungen gemacht und viele der Entscheidungen getroffen hatte.
    Zum Beispiel die Tatsache, daß sie in seinem alten Haus wohnten - was sie natürlich gemeinsam beschlossen hatten. Es war das einzig Vernünftige. Und sie mochte das Haus auch sehr. Doch darum ging es gar nicht: Der Punkt war, daß es, auch wenn sie es nach ihrem Geschmack verändert hatte - es heller gemacht, neu gestrichen, neu möbliert, ein Zimmer angebaut hatte -, immer noch sein Haus war, das Haus von Dismas, nicht wirklich ihr gemeinsam es Haus.
    Auch alle ihre gemeinsamen Freunde waren seine Freunde und deren Ehefrauen. Abe, Flo, Pico, Angela. Selbst Moses - ihr eigener Bruder -, selbst Moses war Hardys Freund ge wesen, lange bevor sie auf die Bildfläche trat. Nicht, daß sie diese Leute nicht leiden konnte - sie mochte sie alle sehr, aber sie hatte sie nicht aus freien Stücken kennengelernt.
    Was war eigentlich mit ihren alten Freunden? Mit den Leuten, die sie und Eddie gekannt hatten? Zählten sie nicht? Warum waren sie nicht mehr Teil ihres neuen Lebens? Lag es an den Kindern, an Dismas, an ihr selbst?
    Sie wußte, daß Dismas die zusätzlichen Besuche bei Jennifer nicht gutheißen würde. Ihre ursprüngliche Überlegung war schlicht gewesen, einmal zu sehen, was Jennifer für ein Mensch war, damit sie sich keine Sorgen mehr machen mußte.
    Doch jetzt passierte etwas anderes, und das war wichtig, zapfte Bereiche in ihrem Inneren an, in denen sie seit ein paar Jahren nicht mehr herumgestöbert hatte. Wenn sie sich mit Jennifer über verschiedene Dinge unterhielt - warum diese zugelassen hatte, daß beide Ehemänner sie verprügelten, zum Beispiel -, konnte Frannie ihr vielleicht dabei helfen, sich zu verändern und zu begreifen, wie die Dinge eigentlich ablaufen sollten. Es schien die Mühe wert, auch wenn Dismas nichts davon wußte.
    Außerdem war sie sicher, daß er ein paar Geheimnisse vor ihr hatte. Man mußte seinem Partner nicht haarklein auf tischen, welche Gedanken und Worte und Taten im eigenen Leben eine Rolle spielten.
    Und daß sie Jennifer besuchte, tat ihr, Frannie, gut. Jennifer war Frannies Freundin und Vertraute, und Dismas mußte nichts davon wissen. Sie konnte sich ihre eigenen Freunde und Freundinnen aussuchen, ihre eigenen Entscheidungen treffen, was ihr eigenes Leben anging. Später würde sie ihm davon erzählen. Vielleicht, nachdem er und Freeman Jennifer freibekommen hatten. Nach dem Prozeß.
    Sie war eine eigenständige Person, aber irgendwie hatte sie es zugelassen, daß das Vorhersehbare in ihrem Alltag ihre Substanz angekratzt hatte. Manchmal fragte sie sich sogar, ob Dismas sie eigentlich weiterhin lieben würde, warum er sie überhaupt liebte, obwohl sie sich die ganze Zeit einredete, daß sie es wert war, geliebt zu werden. Du bist doch eine großartige Frau. Wunderschön, sensibel, cool - wenn du dich nicht selbst liebst, wie kannst du jemand anderen lieben?
    Die Fähre war schon leewärts von Sausalito, der Wellengang hatte sich beruhigt. Dismas zog sie enger an sich.

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