Das Urteil
zu Gesicht bekommt.«
»Haben Sie denn irgendwas gefunden?«
»Ich weiß nicht, was Sie irgendwas nennen. Vielleicht hätte mir das auffallen sollen, hätte ich Verdacht schöpfen müssen. Ich weiß es nicht.«
Hardy wartete. Dr. Heffler las sich noch ein paar Sachen durch, klappte dann die Akte wieder zu. »Sie war sieben Monate lang meine Patientin, kam ohne Überweisung zu mir, sagte, daß sie eben aus Florida nach San Francisco gezogen sei. Beim ersten Mal, als sie ankam, war sie die Treppe in ihrem neuen Haus heruntergefallen.«
»Beim ersten Mal?«
Dr. Heffler nickte. Er klappte die Akte erneut auf. »Drei Monate später hat sie sich den Arm beim Skilaufen gebrochen. Sie hatte gedacht, er wäre bloß geprellt, bis sie wieder nach Hause kam, sonst hätte sie ihn schon in Squaw Valley eingipsen lassen.« Er hielt eine Karteikarte hoch, überflog sie. »Das hier«, sagte er, »das hier hätte ich vielleicht wirklich mitkriegen sollen.«
»Worum geht's da?«
»Drei Monate nach dem Arm - ziemlich regelmäßig, nicht wahr? - kommt sie mit diesem angeblichen Unfall an. Sie hat einen Vorratsschrank saubergemacht, und da kam ihr das Regal entgegen, auf dem diverses Zeug stand, knallte ihr auf den Rücken. Sie hatte Blut im Urin.« Er sah nicht hoch. »Quetschungen und Blutergüsse über den Nieren, am ganzen Rücken.« Er klappte das Krankcnblatt wieder zu. »Ich muß sie danach gefragt haben, ich kann mir nicht vorstellen, daß ich es nicht getan habe.«
»Und sie hat einfach nein gesagt, einfach so?«
»Und hat sich einen neuen Arzt besorgt.« Er holte tief Luft, atmete mit einem Seufzer aus. »Ich bin urlaubsreif«, sagte er.
»Sehen Sie solche Dinge öfter?«
»Öfter? Manchmal ja, schätze ich mal. Ab und an kommen Leute mit Unfällen zu mir. Die Leute fügen sich Verletzungen zu. Ich kann nicht jedesmal zur Polizei gehen, wenn sich jemand den Arm bricht oder mit einem blauen Auge hereinkommt. Ich hätte bald keine Praxis mehr.« Er hob die Unterlagen hoch, schlug das Deckblatt zurück, blätterte ungeduldig hin und her. »Hier ist noch was.«
Auf der Rückseite der Akte war eine gelbe Klebenotiz angeheftet, auf der ein Name und eine Adresse standen. »Keine Ahnung, wieso das da ist.«
Er rief erneut Joanie an, die prompt hereinkam. »Oh, das ist einfach eine Notiz für mich, wenn mich jemand um Unterlagen bittet.«
Dr. Heffler beugte sich vor, hatte noch immer die Stirn gerunzelt. »Das könnte also der nächste Arzt gewesen sein, zu dem die Patientin gegangen ist.«
Joanie war ebenso heiter und gut gelaunt, wie es Dr. Heffler gewesen war, bevor das Gespräch mit Hardy anfing. »Könnte sein. Würde ich annehmen, Sie nicht auch?«
»Ich hab zu ihr gesagt, daß ich sie nicht behandle, wenn sie mich nicht die Polizei verständigen läßt. Sie sollte sich beraten lassen. Ich habe sie nur dieses eine Mal gesehen und wußte sofort, was los war.«
Hardy saß im Wartezimmer von Dr. Helena Zamoras Praxis. Es war jetzt kurz vor Sprechstundenschluß. Dr. Zamora, eine nervöse Frau etwa in Hardys Alter, ließ ihn zwar herein, aber zugleich in freundlichem Ton wissen, daß sie in einer Dreiviertelstunde zum Abendessen verabredet sei und allenfalls zehn Minuten für ihn erübrigen könne. Er umriß kurz, was er bei Dr. Heffler in Erfahrung gebracht hatte und was er herauszufinden versuchte.
»Sie kam zu mir«, sagte die Ärztin, »mit einem großen runden Bluterguß unter einer Brust und irgendwelchem Quatsch, daß sie sich am Treppengeländer an einem Knauf gestoßen hätte. Ich wurde mißtrauisch und schaute mir ihre Anmeldung an, ließ mir dann ihre Krankengeschichte kommen. Im Anschluß daran habe ich sie angerufen und nie wieder von ihr gehört.«
Sie schob die Brille zurück und klemmte sie am Haaransatz fest. »Eine bekannte Geschichte, allzu bekannt. Hilft Ihnen das weiter?«
Hardy sagte, das tue es, und bedankte sich bei ihr.
Dr. Zamora nahm ihre Brille ganz ab. »Sie hat zuletzt das Tier umgebracht, das ihr das angetan hat, stimmt's?«
»So lautet die Anklage.«
»Schön für sie.«
Aus einer Telefonzelle der Tankstelle an der Ecke von 19th Street und Kirkham Avenue rief Hardy Jennifer im Gefängnis an.
Zumindest was San Francisco angeht, ist es ein Mythos, daß Häftlinge nur einen einzigen Telefonanruf tätigen dürfen. In den Gemeinschaftsräumen des Untersuchungsgefängnisses hängen Münztelefone an den Wänden, und wann immer die Häftlinge telefonieren wollen, können sie dies tun. Es
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