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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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die Aufregung vor der Haustür. Hardy kümmerte sich um sie, ließ ihr lauwarmes Wasser in die Badewanne laufen und erledigte alles mit den Kindern, brachte sie zum Schlafen, bevor er Frannie ins Bett verfrachtete. Es war immer noch hell draußen.
    Er ging zu seinem Sessel im Wohnzimmer und legte klassische Musik auf- färbte Freeman schon auf ihn ab? -, fing an, die Taschenbuchausgabe der Kurzen Geschichte der Zeit zu lesen, die sowohl Moses wie Abe unabhängig voneinander empfohlen hatten. Schwarze Löcher, der Urknall, die Verkettungstheorie, vielleicht sogar Gott.
    Aber er konnte sich nicht konzentrieren.
    Vielmehr ging ihm der Streit von vorhin nicht aus dem Kopf. Sein Herz raste, das Adrenalin zirkulierte hin und her und wußte nicht, wohin. Wie hatten sie denn herausgefunden, wo er wohnte? Er hatte Nancy seine private Telefonnummer gegeben, was ein Fehler gewesen war. Er wußte, daß ein Zurückverfolgen der Adresse, selbst bei einer nicht im Telefonbuch aufgeführten Nummer, problemlos machbar war, sofern man nur irgendwen kannte, der bei der Telefongesellschaft arbeitete, und Pacific Bell war vermutlich der größte Arbeitgeber in Kalifornien. Pure Dummheit.
    Er spielte einige Möglichkeiten durch, mehrere davon gesetzwidrig - er könnte mit einer Schußwaffe noch einmal zu Phils Haus fahren und ihm etwas deutlicher zu verstehen geben, daß er die beiden nie wieder bei sich sehen wollte. Er könnte ohne die Waffe hinfahren. Sollte er die Polizei anrufen, zur Anzeige bringen, daß Phil seine Frau grün und blau geschlagen hatte? Sollte er Anzeige erstatten wegen des Hausfriedensbruchs und der Drohungen von heute abend? Doch dann fielen ihm Glitskys Worte wieder ein - Kleinkram wie dies hier zählte gar nicht als Verbrechen, damit gab sich die Polizei in San Francisco nicht mehr ab.
    Er fragte sich, was Phil wohl Nancy angetan hatte - antun mochte -, wenn er seinerseits mit all dem unverbrauchten Adrenalin im Blut heimkam? Sobald Tom weggefahren war, was dann?
    Er griff zum Telefon und besorgte sich die Nummer des Polizeireviers Golden Gate. Dort war ja heute abend vielleicht tote Hose, irgendein junger Hitzkopf von Streifenpolizist wollte sich seine Sporen verdienen, mehr als das bloße Minimum abreißen. Es konnte ja nicht schaden ... und vielleicht nützte es ein bißchen.
    »Ich nenne Ihnen nicht meinen Namen«, sagte Hardy, »und das hier ist auch kein Notfall, aber vielleicht wollen Sie trotzdem einen Streifenwagen in die ...«
    Im Shamrock war zwar nicht gerade tote Hose, aber nur wenig los. Sonntagabend. Der neue Mann - Hardys Nachfolger - stand hinterm Tresen. Die Musikbox war im Dauerbetrieb, nicht zu laut - die übliche Mischung aus vorwiegend altem Rock and Roll und irischen Folksongs, wie man sie im Shamrock liebte. Seit jenem Tag vor zwei Jahren, als Moses endlich die Single von »The Unicom« herausgefischt und feierlich in Stücke zerbrochen hatte - »green alligators and long-necked geese, some hump-back cameis and chimpan-zees« -, gab es nach Hardys Ansicht keinen einzigen Ausrutscher mehr in der Musikbox.
    Bei seinem zweiten Guinness hatte Hardy mit einem Stammkunden namens Ronnie ein Spiel »301« angefangen. Ronnie war so um die Dreißig, der Pianist einer Band, die heute ihren freien Abend hatte. Außerdem illustrierte er Kinderbücher. Ronnie war ein sehr netter Kerl, der offensichtlich einiges Talent besaß und Hardy mit den Darts fraglos Paroli bieten konnte. Obendrein hatte er einiges auf dem Kasten.
    »Was ich nicht kapiere«, sagte er gerade und warf dabei seine speziell angefertigten Darts in die Scheibe, »ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß man als Bruder oder Vater zuläßt, daß die eigene Schwester oder Tochter - vor allem Tochter - wegen eines Mordes hingerichtet wird, den man selber begangen hat.«
    »Sie ist noch weit davon entfernt, daß sie hingerichtet wird. Sofern sie freikommt, ist das Schlimmste, daß die beiden ihr eine harte Zeit eingebrockt haben.«
    »Ein Mordprozeß ist eine ganz schön harte Zeit.«
    »Versuch mal, mit diesen Typen zusammenzuleben.«
    Ronnie holte seine Darts zurück - zwei Zwanziger und ein Fünfer - und machte mit der Kreide einen Strich durch die »182« auf der Schiefertafel und kritzelte ohne jede Pause und ohne, daß es auch nur so aussah, als ob er auf die Tafel geschaut hätte, »137« darauf. Selbst dümmliche Dartspieler konnten bald gut subtrahieren - und Ronnie war eine verkable Rechenmaschine.
    Hardy trat an die Linie.

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