Das Urteil
und...«
»Tu ich nicht.«
Sie legte ihm den Finger auf die Lippen, brachte ihn zum Schweigen. Es war jetzt viel später, stockfinstere Nacht, vor dem Fenster sah man die Lichter der Brücke, neben dem Bett brannte eine Kerze.
»Ich wollte dich nicht enttäuschen«, sagte sie, »und ich war einfach so verdammt traurig. Und nicht wegen dir, sondern wegen mir. Es war meine Traurigkeit. Es ging um Eddie, um meine sogenannte Jugend, um alles. Ich schätze, es hat mich einfach alles mit einem Schlag überrollt.«
Hardy lag da, blieb stumm.
»Ich wollte nicht, daß du es erfährst. Ich wollte dir nicht weh tun.«
»Ich glaube schon, daß ich weiß, daß im Leben nicht alles vollkommen ist, Frannie. Bei Gott weiß ich das.«
»Aber du willst, daß in unserem Leben, bei uns zu Hause alles so ist, stimmt's? Manchmal glaubst du sogar, daß man es erreichen kann.«
»Du nicht? Glaubst du nicht, daß das ein lohnendes Ziel ist?«
»Ich weiß nicht. Ich hatte immer gedacht, ich glaube daran. Und dann das hier, diese ganze Sache, das Gefühl, in der Falle zu sitzen, das alles ...« Sie wechselte die Position im Bett, legte den Kopf vom Kissen auf Hardys Schulter, schob ihr Bein über seinen Bauch.
»Ich hab dir keine Falle gestellt, Frannie. Hab dich nicht in die Ehe gelockt. Ich hab immer gedacht, du bist glücklich ...«
»Es geht gar nicht um dich, Dismas. Ich begreife jetzt, daß es gar nicht um dich geht. Es geht um mich, um mein Leben. Plötzlich, ich weiß auch nicht warum, kam mir alles wieder hoch. Und dann hatte ich so sehr das Gefühl, versagt zu haben - ich meine, ich war nicht glücklich, sollte es aber sein, und wer ist daran schuld?«
»Ich gebe die Schuld in der Regel einem Konsortium arabischer Investoren.«
»Ich auch normalerweise, aber diesmal hat es nicht funktioniert, und ich konnte es dir nicht sagen. Es wäre nicht fair gewesen, jetzt wo der Prozeß in Gang kommt und all das, und dann hat es mich geärgert - daß ich es dir nicht sagen konnte, und dann hab ich mir eingeredet, daß es dir sowieso egal wäre, daß all das nur irgendein blöder Weiberkram sei, der sowieso nicht sehr gradlinig abläuft und auch nicht...«
»He ... he ... he ... was ist das? Blöder Weiberkram? Wir haben doch keine blöden Weiber zu unserer Party hier eingeladen.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Ich hab keine Ahnung, was du meinst. Und gradlinig?« Er stützte sich auf dem Ellbogen hoch und sah zu ihr hinunter. »Ich hab keine Ahnung, was du meinst«, wiederholte er. »Ehrlich.«
Frannie schloß eine Sekunde lang die Augen. »Ich hab Jennifer besucht.«
»Ich weiß.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Öfter als einmal. Ich hab mich davongeschlichen. Ich hab die Kinder bei Erin gelassen und hab sie besucht.«
»Wie oft?«
»Ich weiß nicht. Drei- oder viermal.«
»Im Untersuchungsgefängnis?« Er beantwortete die Frage selbst. »Natürlich im Untersuchungsgefängnis.« Hardy setzte sich aufrecht hin, zog das Bettlaken um sich herum. Frannie legte ihm die Hand aufs Bein.
»Beim ersten Mal... ich glaube, wir kamen gut klar miteinander. Dann dachte ich mir, du wärst nicht damit einverstanden, oder hatte keine Lust, dich um deine Zustimmung zu bitten ...«
»Frannie ...«
»Aber dann hab ich mir eingeredet, daß es mich ärgert, weil ich das Gefühl hatte, ich müßte es jedesmal mit dir absprechen. Das kam mir nicht richtig vor, daß ich um Erlaubnis bitten muß.«
»Sie ist meine Mandantin, Frannie.« Er schüttelte den Kopf, versuchte, das Gehörte irgendwo einzuordnen.
»Ich weiß, ich weiß. Ich hätte mit dir reden sollen, aber es ... es schien alles zu dem anderen Zeug zu passen, daß ich so deprimiert war, daß ich mir vorkam, als säße ich in der Falle. Jennifer ... na ja, sie hat mir zugehört.«
»Jennifer hat dir zugehört? Mein Gott!« Hardy warf das Laken beiseite und schwang die Beine aus dem Bett. Er ging zum Fenster, nicht weil er die berühmte Aussicht genießen wollte, sondern weil es das einzige Ziel im Zimmer war. Er stand stocksteif da und flüsterte dann, ohne sich umzudrehen: »Du hast mit Jennifer über uns beide gesprochen? Was weiß sie jetzt über uns?«
Er hörte ihre Stimme halblaut hinter sich. »So lief das nicht ab. Sei nicht wütend auf mich. Bitte.«
Er blieb eine Minute stehen, versuchte alles zusammenzubekommen. Die Bilder aus dem Fenster - die Lichter auf der Union Street tief unter ihnen, das Golden Gate, die Nadelbäume auf dem Presidio, die den westlichen
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