Das Urteil
Eindruck, als weiche sie zurück. »Wie ich weitermachen soll.«
»Was heißt, wie du weitermachen sollst, Jen? Du mußt weitermachen.«
Sie schüttelte den Kopf und verstummte.
Lightner beugte sich vor, es waren keine drei Zentimeter von seinem Gesicht bis zur Glasscheibe. »Jennifer, hör mir un bedingt zu. Du mußt weitermachen. Du kannst jetzt nicht aufgeben. Du bist im Begriff zu gewinnen, das Schlimmste ist vielleicht schon vorbei.«
»Nein, das Schlimmste ist noch nicht vorbei. Mr. Freeman sagt, das Schlimmste hat noch nicht angefangen ...«
»Er ist eine große Hilfe.«
»Er versucht sein Be stes. Wirklich, Ken. Zumindest davon bin ich überzeugt. Es ist noch nicht mal so sehr das Gerichtsverf ahren, weißt du. Es ist, daß alles hier so völlig anders ist. Alle diese Leute hier« - sie zeigte nach hier, nach da - »dieser ganze Laden. Manchmal denke ich, ich werde nie wieder irgendwas haben, das ich erkenne, das ich haben will.« Eine Träne rann ihr aus dem Auge und über die Wange. Diesmal wischte sie sie nicht ab. Es "war ihr egal, wenn sie Schwäche zeigte, wenn sie vor Ken zusammenklappte, dazu war er ja da. Und sie war schwach - den Beweis hatte man geliefert. Alles Alte war ihr nicht mehr wichtig. »Ich bin so durcheinander, Ken, so durcheinander ...«
Lightner beobachtete sie, wartete auf irgend etwas, er wußte selbst nicht recht, auf was. Jennifer schien völlig in sich zurückgezogen, sie litt offenbar Höllenqualen, und er hätte sie gerne aus diesem Zustand herausgeholt, wollte aber nicht drängeln. Man läßt die Leute ihren eigenen Ausweg finden, sofern sie es schaffen.
»Ich bin immer noch da«, sagte er schließlich.
Sie erlaubte sich wieder das angespannte Lächeln. »Manchmal denke ich, du bist der einzige Grund, warum ich noch am Leben bin.« Halb lachte, halb schluchzte sie. »Das ist komisch, weißt du. Kannst du dich noch erinnern, wie ich mir gedacht habe, wenn wir bloß von Larry weg könnten, würde alles gutgehen, alles besser sein? Es wäre eine völlig neue Welt.«
»Ich erinnere mich genau. Die kann es vielleicht immer noch geben, Jen. Wir haben uns doch wieder und wieder darüber unterhalten, die Veränderungen durchgearbeitet.«
Sie schüttelte sich heftig, fing beinahe an, sich rhythmisch hin- und herzuwiegen. Ihr Kopf bewegte sich von einer Seite zur anderen, eine schwere Last an einem Fädchen. »Aber genau das ist es ja, das ist das Problem. Ich glaube nicht mehr daran. Ich weiß nicht, ob ich noch daran glaube. Die Sache mit Matt ...« Der Redefluß versiegte, ihre Augen waren mit einemmal tot, ohne einen Funken Energie. »Es wäre besser, wenn es einfach alles vorbei wäre. Dann wäre Schluß.«
Vielleicht war es ein Test. Jennifer starrte durch die Scheibe, suchte nach etwas in seinen Augen, nach einer Antwort. Sie kratzte auf dem Fensterbrett vor sich herum, streckte die Hand zur Plexiglasscheibe vor, zog sie wieder zurück. »Es wird nicht besser, egal was passiert. Ich bin einfach die Sorte Mensch, die von allen Seiten Prügel einstecken muß ... von Männern, Sachen, Situationen. Ich bin eine Verliererin, sonst nichts.«
Lightner saß ganz vorne auf der Kante der Sitzfläche, hatte die Hand auf die Trennscheibe gelegt. »Du bist keine Verliererin, Jen. Man hat dich zum Opfer gemacht. Wir haben darüber geredet. Es ist ganz natürlich, daß du dich nach allem, was du durchgemacht hast, so fühlst. Aber du bist keine Verliererin. Ich würde nicht durch dick und dünn zu dir halten, wenn du eine Verliererin wärst, wenn ich nicht den Eindruck hätte, daß das hier ein Ende nimmt, daß eine Zeit kommt, wenn alles besser wird.«
»Sag mir, wann?«
»Jen, bitte. Niemand weiß das genau. Aber ...«
»Ich habe den Eindruck, du würdest trotzdem durch dick und dünn zu mir halten, selbst wenn ich eine Verliererin wäre. Und du weißt, warum. Ich hab's rausgekriegt. Weil ich eine Herausforderung für dich bin, eine klassische Fallstudie.«
»Mein Gott, Jennifer, wie kannst du so etwas sagen nach all dem...«
»Weil es wahr ist, oder? Es ist dir nicht wirklich wichtig, oder? Ich meine, mit mir. Wer könnte je eine Frau lieben, die so kaputt ist wie ich? Sobald ich mich verändert hätte, sobald das passiert, sofern es überhaupt jemals passiert, wäre die Herausforderung weg, das Rätsel, oder was sonst immer ich sein mag. Auch du wärst weg, oder etwa nicht? Und wo wäre ich dann? Ich werd dir sagen wo - wo ich jetzt bin, nirgendwo. Nirgends, nichts, nie
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