Das Urteil
Haftentlassung gegen Kaution wird abgelehnt.«
5
Im Flur vor der Kammer 22 waren die Roma verschwunden, aber man hörte noch immer das übliche Stimmengewirr, das von den kahlen Wänden widerhallte.
»Wieso können sie ihr die Kaution verweigern?« fragte Phil DiStephano, Jennifers Vater. Er hatte sich mit zehn Zentimeter Abstand vor Freeman postiert, nicht unbedingt kampfeslustig, aber gewiß ohne große Herzlichkeit.
»Wir können Einspruch einlegen«, sagte Freeman, »aber ich warne Sie, daß wir verlieren werden. Und selbst falls wir gewinnen sollten, würde der Richter eine unverschämt hohe Kaution ansetzen.«
Die attraktive Mrs. DiStephano meldete sich leise hinter ihrem Ehemann zu Wort. »Wieviel, Mr. Freeman?«
Phil DiStephano wandte sich an seine Frau. »Ist doch egal, Nancy. Das können wir eh nicht bezahlen.« Allem Anschein nach hatte er wohl recht. Einerlei, wie hoch die Kaution ausfallen mochte, sofern sie tatsächlich mit ihrem Einspruch durchkommen sollten, die DiStephanos sahen nicht so aus, als ob sie das Geld aufbringen könnten.
Phil trug einen einfachen schwarzen Anzug, der nicht so aussah, als sei er in letzter Zeit gebügelt worden, dazu ein weißes Hemd, gebügelt, aber nicht neu, und eine schmale Krawatte. Die Kleidung der Mutter, allerdings nicht der Rest, erinnerte Hardy an Pat Nixon während der Checkers Speech. Sie war attraktiv genug - sogar noch immer eine Schönheit, wie einige Leute wohl sagen würden, genau wie ihre Tochter -aber irgend etwas an ihrer Haltung, in den zusammengekniffenen Lippen verriet, daß ihr Leben kein Zuckerlecken gewesen war. Der Sohn, der vielleicht dreiundzwanzig war, hatte Jeans an, Arbeitsstiefel, lange Haare, dazu ein in den Bund gestecktes Pendieton, und er kam sich reichlich großartig vor.
Eine Arbeiterfamilie, und das überraschte Hardy ein wenig. Jennifer war in den Medien nie anders als aus der Oberschicht stammend porträtiert worden, und als Hardy gestern mit ihr gesprochen hatte, wirkte sie auf ihn - selbst in ihrer Gefängniskluft und mit all ihrem Kummer - wie die im Wohlstand lebende Frau eines erfolgreichen Arztes. Ihre Familie legte eine andere Herkunft nahe.
Als Freeman ihnen als nächstes sagte, daß sie mit einer Kaution in Höhe von einer Million Dollar oder mehr rechnen könnten, falls Jennifer überhaupt eine Kaution eingeräumt werde, platzte dem Sohn der Kragen. »Verdammte Scheiße, wo soll sie das denn herkriegen?«
»Tom!«
Freeman hob beschwichtigend die Hand. »Sehr richtig, mein Sohn. Der Punkt ist, daß sie überhaupt kein Interesse daran haben, daß sie rauskommt. Sie sind der Ansicht, daß sie einen langen Spaziergang macht und verschwindet. «
»Ich glaube nicht, daß sie das tun wird. Sie hat eine sehr überzeugende Verteidigung.« Der Mann, dem diese neue Stimme gehörte, kam nach vorn und streckte Freeman die Hand entgegen. »Ken Lightner.« Als ob der Name einiges erklären würde. »Ich bin Jennifers Psychiater«, fügte er hinzu.
Es war der andere Mann, der Hardy im Zuhörerraum aufgefallen war. Er sah einigermaßen gut aus, wirkte selbst in seinem maßgeschneiderten Anzug ein wenig stämmig und trug unter dunkelbraunem Haar einen schick getrimmten roten Bart zur Schau. Es war eine ins Auge fallende Kombina tion, die nach Hardys Ansicht gut aus einem Fläschchen stam men konnte.
»Wozu braucht Jenny 'nen Seelenklempner?« sagte Tom DiStephano.
Nancy DiStephano legte ihrem Sohn die Hand auf den Arm, als Lightner das Wort an ihn richtete. »Sie müssen Tom sein.«
»Nein. Ich bin die Königin von England.« Sie stellte sich zwischen die beiden. »Sei nicht unverschämt, Tom.«
Hardy fragte sich, ob Tom DiStephano sich überhaupt ge nug i m Griff hatte, daß er mit voller Absicht irgendeine klare Haltung - selbst Unverschämtheit - an den Tag legen konnte. Was auch immer die Ursache seines Zornes war, er machte ihm offenbar reichlich zu schaffen. Tom blickte im ganzen Flur um sich, als ob er nach einem Ausgang, einer Fluchtmöglichkeit suchte. Seine Mutter hielt ihn immer noch am Arm fest, aber er schüttelte sie ab und wandte sich an Hardy. »Versucht ihr Burschen, sie als verrückt hinzustellen? Läuft die Sache darauf hinaus? Glaubt ihr, daß sie verrückt ist?«
»Nein, keineswegs.« Lightner schien sich um einen verständnisvollen Ton zu bemühen, wollte jedermann einbeziehen.
Doch dies hier war Freemans Show, und er war nicht gewillt, die Hauptrolle freiwillig abzugeben. »Wir haben uns noch nicht
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