Das Urteil
sagen.«
Hardy hatte sich noch für keine Strategie entschieden, wie er seine zukünftige Beteiligung an der Verteidigung Jennifer Witts zur Sprache bringen wollte, doch wie es einem so oft bei David Freeman erging, nahm dieser die Frage vorweg.
In Kalifornien umfassen alle Gerichtsverfahren, in denen die Todesstrafe droht, zwei getrennte Schritte vor derselben Jury -die Ermittlung der Schuld und die Ermittlung der Strafe. In der Praxis tritt der Verteidiger, der die erste Phase zur Klärung der Schuldfrage übernimmt, nicht auch in der zweiten Phase auf, wenn es um die Festsetzung der Strafe geht. Die Geschworenen werden zynisch, wenn jemand zuerst leidenschaftlich die These verficht, daß sein Mandant es nicht getan hat, und dann - nachdem durch das Verfahren geklärt ist, daß er es doch getan hat, ja, allerdings eine Kehrtwendung vollzieht und im Endeffekt sagt: Na schön, mein Mandant hat es also getan. Ich weiß, daß ich gesagt habe, das stimmt nicht, aber ich habe gelogen. Jetzt lassen Sie uns aber zumindest darüber reden, was für ein netter Mensch mein Mandant ist und warum eine Hinrichtung wirklich zuviel des Guten wäre ...
Zur Vermeidung dieses Eindrucks von Wankelmütigkeit gibt es deshalb immer einen Anwalt, der die Phase der Straffest legung übernimmt. Er wird üblicherweise als »Keenan counsel« bezeichnet, und diese Rolle hatte Freeman nun Hardy angetragen, falls Jennifer für schuldig befunden werden und es zu die ser Phase des Prozesses kommen sollte. »Selbstverständlich un ter der Annahme, daß sie bezahlen kann.« Es schien ihm ernst damit, als er das sagte.
Jennifer Witt hatte das Recht auf einen Strafverteidiger, doch sofern sie nicht über die nötigen Mittel verfügte, um die Kosten zu tragen - und im Falle der Androhung der Todesstrafe würden das enorme Kosten sein -, ernannte das Gericht einen Pflichtverteidiger. Und selbst falls sich der Pflichtverteidiger auf irgendeinen Interessenkonflikt berufen sollte, gab es keinerlei Garantie, daß man Freeman und Hardy mit der Verteidigung betrauen würde.
Freeman war selbstredend ein über lange Jahre hinweg vom Gericht anerkannter Strafverteidiger, doch Hardy hatte noch nicht einmal den Zulassungsantrag gestellt, und in jedem Falle würden auch die anderen Geier ihre Kreise ziehen, wenn es um ein solch hochkarätiges Verfahren ging. Es sah ganz danach aus, als würde der Fall für einigen Wirbel sorgen - die allerbeste Reklame in diesem Metier. Doch wenn Freeman und Hardy Jennifer verteidigen sollten, dann mußte sie persönlich für ihr Honorar aufkommen. Da führte kein Weg dran vorbei.
»Und ich sage Ihnen noch etwas«, sagte Freeman. »Ich geb Ihnen ein kleines Privatissimum zum Thema Führung einer eigenen Anwaltskanzlei. Selbst wenn Mutter Teresa Ihre Mandantin sein sollte, Sie bekommen Ihr Geld vorweg.« Es schien ihm überaus ernst damit zu sein. Und das irritierte Hardy.
Der Protokollführer betrat den Raum durch die Vordertür des Gerichtssaals und unterhielt sich mit dem Gerichtsstenographen. Während die beiden leise miteinander redeten, machten sie sich daran, ihre Arbeitsmaterialien zurechtzulegen und auch sonst alles vorzubereiten. Im Parkett für die Zuhörer waren ein paar Leute eingetroffen, anscheinend Rechtsanwälte - Freeman nickte einigen von ihnen zu. Andere Leute, die keine Anwälte waren, vielleicht Verwandte von Angeklagten oder Opfern, drängten nach und nach in den Saal. Dies war der Superior Court. Wer in diesem Gerichtssaal vor den Richter trat, war nicht wegen eines Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung erschienen. Hardy überließ Freeman seinem Aktenstudium, stand auf und spazierte zu der Schranke vor, die das Parkett von den Gerichtsparteien trennte.
Dean Powell, der Vertreter der Anklage, tippte ihm auf die Schulter. »Ich habe mir schon gedacht, daß ich Sie heute morgen hier treffen würde.«
»Ich dachte, ich hätte bereits erwähnt, daß David Freeman diesen Fall betreut, Dean. Da hinten sitzt er und macht etwas Morgengymnastik.« Freeman zog sich eben am Ohr, war in seine Papiere vertieft, hatte die Welt ringsum vergessen. »Ich bin eigentlich mehr zum Spaß mit dabei.« »Hat Freeman eine Verteidigung festgelegt?« »Nein, aber Jennifer. Es ist Ihr Lieblingsplädoyer.« »Nicht schuldig? Keine Unzurechnungsfähigkeit? Nicht einmal Totschlag?«
»Mrs. Witt sagt, sie hat nichts von alledem getan.« Powell nickte, behielt sein Pokerface bei. Aber Hardy hatte den Eindruck, daß der
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