Das Urteil
Seite des kleinen Tischs und genoß die Aussicht durch das Fenster - eine Ge-fängniswärterin, die Papiere in einen vorsintflutlichen Metail- s chrank einsortierte.
»Wissen Sie« - er drehte sich nicht um -, »ein Mann mit Ihrem Einfühlungsvermögen und Ihrer Erfahrung sollte das hier eigentlich allein durchziehen können.« Hardy hatte erst überredet werden müssen, erneut ins sechste Stockwerk hochzufahren. Es war kein angenehmer Ort.
»Sie hat mich noch nicht kennengelernt.« Freeman unterbrach seine Lektüre nicht.
»Sie hat Sie soeben unten kennengelernt, wissen Sie das noch? Kammer 22. Großer Saal, ein Richter ganz vorne.« Freeman hob die Triefaugen. Hardy kam um den Tisch herum, beugte sich über den Anwalt. »Wissen Sie, eine der Sachen, an die ich glaube, ist die, daß alle Leute versuchen sollten, jede Nacht ein bißchen zu schlafen.«
»Ich krieg genug Schlaf«, knurrte Freeman.
»Dann eben ein Schönheitsschläfchen, Sie könnten mehr davon gebrauchen.«
»Hören Sie.« Er wechselte die Strategie. »Vielleicht übernehmen wir die Sache gar nicht. Ich möchte schon, verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn es kein Honorar geben sollte ... und außerdem ist da noch die Tatsache, daß ich es ihr nicht verübeln würde, wenn sie mich jetzt gleich aus eigenem Antrieb abserviert. Ihre Reaktion auf mich war alles andere als herzlich. Um diese Möglichkeit auszuschalten, habe ich Sie gebeten, mich zu begleiten - Sie schien aus irgendeinem Grund einen Draht zu Ihnen zu haben. Vielleicht können Sie hier zumindest die Rolle des Puffers übernehmen. Ich habe das schon mal erklärt.«
»Ich weiß. Ich hab es sogar kapiert.«
»Also worum geht's ?«
»Ich versuch bloß, Sie etwas aufzuheitern, David. Wir haben unten schon eine Runde verloren. Wenn wir scharf auf diesen Fall sind, dann empfiehlt es sich vielleicht, ein bißchen verbindlich aufzutreten.«
Freeman schnitt ihm eine Grimasse. »Verbindlichkeit gibt's bei mir nicht.« Trotzdem quälte er sich ein müdes Lächeln ab. »Deshalb brauche ich Sie ja.«
Sie quälten sich durch die ersten Minuten. Jennifer, angespannt, sagte nichts, während Freeman die Sache mit der Kaution erklärte - daß es einfach nicht viel gab, was ein Anwalt bei einem Mordfall wie dem ihren tun konnte. Das Ganze war außerdem eine Art Verkaufskampagne - die Strafverteidigung mochte Freemans innere Berufung sein, aber er verdiente sich auch seinen Lebensunterhalt damit und fühlte sich dazu verpflichtet, zunächst einmal klarzustellen, wie sehr er sich ins Zeug gelegt hatte, bevor er weitermachte, aber das einzige, was sie von ihm wollte, war, daß er Berufung gegen die Ablehnung der Kaution einlegen sollte. »Sie können doch nicht wollen, daß ich hier drinbleiben muß?
Hardy stand mit dem Rücken zur Tür, die Hände in den Hosentaschen. Nach einer Nacht im Gefängnis war Jennifer mehr denn je davon überzeugt, wie wichtig es für sie war, Kaution stellen zu dürfen, und das verstand er gut.
Freeman verschränkte vor sich die Hände auf dem Tisch und sprach ganz ruhig. »Natürlich nicht, Mrs. Witt. Aber wir müssen uns mit den Gegebenheiten auseinandersetzen, und ich fürchte, eine davon hat mit Geld zu tun.«
»Geld. Es geht immer ums Geld, oder etwa nicht?«
Einen Augenblick lang dachte Hardy, daß sie sich beinahe wie ihr Bruder anhörte.
Freeman öffnete die Arme zu einer entschuldigenden Geste. Allerdings, dachte er, oft geht es ums Geld. Er fühlte sich verpflichtet, ihr die Lage jetzt gleich zu verdeutlichen, wie unangenehm dies auch sein mochte. »Sie könnten auf die Berufung hin vielleicht eine Kaution in Höhe von einer Million Dollar bekommen. Das bedeutet hunderttausend für den Kautions-steller, der das übernimmt. Plus die Kosten für die Berufung. Wenn Sie das nicht hinkriegen, müssen Sie sich beim Prozeß mit einem Pflichtverteidiger begnügen.«
Ihr Blick - schnell und erschrocken - wandte sich zur Tür. »Warum nicht Sie und Mr. Hardy?«
Freeman verschränkte erneut die Hände. »Offen gesagt, belauft sich unser Vorschußhononar ... es ist meine Entscheidung ... auf zweihunderttausend Dollar, und jeder andere Würde dasselbe verlangen. Also halten Sie sich an den Pflicht- Verteidiger, wenn Sie das Geld nicht aufbringen können.« Freeman glaubte nicht nur, es sei besser, von vornherein notfalls brutal offen aufzutreten, sondern neigte auch zu der Ansicht, daß es für den Mandanten besser war, wenn man seine Zähne zeigte, damit er eine
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