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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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woher wissen Sie es denn? Warum?«
    Endlich also eine offene Frage. Lightner schob seinen Körper im gutgeschnittenen Maßanzug zurück auf den Tisch. Die Sonne schien bei dem einen Fenster grell durch die Staubkörnchen und fiel auf das Gesicht des Psychiaters, unterstrich die Rottöne in dem hübschen Bart.
    Er seufzte, hatte die Fäuste geballt. »Die einfache Antwort lautet«, sagte er, »damit Larry aufhört, sie zu verprügeln.«
    Hardy saß eingezwängt in der engen Sitzfläche einer altmodischen Schulbank mit dazugehörigem Pult samt eingebautem Tintenfaß, über das er jetzt mit den Fingern strich, lehnte sich mit gerade vor sich ausgestreckten, an den Knöcheln überkreuzten Beinen zurück. »Sie sagt, daß er sie nicht geschlagen hat. Sie sagt, sie hätten sich gestritten wie alle anderen Leute, aber ...«
    »Natürlich sagt sie das. Aber es ist nicht wahr.«
    »Es ist nicht wahr«, wiederholte Hardy. »Woher weiß ich denn, daß es nicht wahr ist?« Er hob die Hand, die er um das Tintenfaß gelegt hatte. »Nein, ich will nicht wieder damit anfangen. Ich frage, ob Sie irgendeinen Beweis haben, das Ganze untermauern können. Jennifers Eingeständnis? Irgendwas? Ich nehme an, Sie erzählen mir all das, um ihr einen Ausweg zu eröffnen, eine Rechtfertigung, die sie entlasten könnte, falls sie die Tat begangen hat.«
    Lightner nickte. »Ja, aber ich befinde mich hier auf schwankendem Boden, Mr. Hardy. Ich weiß das. Nun, ich habe mich dazu durchgerungen, daß ich Ihnen manches von dem, was ich Weiß, erzählen kann, Dinge, die Sie mit genügend Zeit Ihrerseits aus anderen Quellen erfahren könnten. Aber ich fürchte, ich kann Ihnen nicht verraten, woher ich es weiß.«
    Es dauerte einen Augenblick, ehe Hardy sagte: »Schweigepflicht.«
    Da war es, das vertraute zweischneidige Schwert. Lightner senkte ein wenig den Kopf. »Auch ohne meine Informationen sollte es Unterlagen geben, die darauf hinweisen. Sie hat es nie gesagt, aber ich denke, daß sie den behandelnden Arzt ge wechselt haben muß. Sie sind verpflichtet, solche Sachen zu melden.«
    Da hatte er recht, wie Hardy wußte. Wenn eine Person, sagen wir eine Frau oder ein Kind, häufiger einen Arzt auf suchte und Verbrennungen, Prellungen, Hautabschürfungen, blaue Flecke aufwies und berichtete, daß sie vom Fahrrad ge fallen oder die Treppe hinuntergestürzt oder gegen eine Tür gerannt sei, was auch immer - wenn es dem Arzt verdächtig vorkam, war er gesetzlich dazu verpflichtet, es behördlich zu melden. Das war ein zwingender Grund, eine Mißhandlung zu vermuten.
    Hardy stellte die naheliegende Frage. »Aber Sie wußten, daß Jennifer mißhandelt wurde. Wieso haben Sie es denn nicht gemeldet?«
    Lightner stützte sich noch immer auf die Hände, sah un glücklich drein. »Auf uns trifft diese Verpflichtung nicht zu. Sie hat nicht zugelassen, daß ich es melde. Sie war meine Patientin. Ich war ihr Psychiater. Es war ihr Recht. «
    »Also hat sie den Arzt gewechselt, damit niemand Verdacht schöpft. Oder es meldet. Sonst noch was?«
    » Die Nachbarn könnten was mitbekommen haben. Wie oft sind die beiden umgezogen? Manchmal gibt das einen Hinweis.«
    Hardy wies darauf hin, daß all das stimmen konnte, aber daß Jennifer selbst die nächstliegende Quelle sei, um zu bestätigen, ob sie nun von ihrem Ehemann mißhandelt worden sei oder nicht, und daß sie es abstreite. »Sie werden mir zustimmen«, sagte er, »daß uns dies ein gewisses Problem bereitet.«
    »Ja, das sehe ich natürlich.«
    »Nun?«
    » Ich habe mir einfach gedacht, daß Sie es wissen müssen-Wie Sie gesagt haben, es muß einfach ihre Verteidigung sein. Es ist der Grund, warum sie es getan hat.«
    Hardy versuchte, sich in der winzigen Bank aufzurichten.
    Er legte die Ellbogen auf das Pult. »Dr. Lightner, ich muß Sie daran erinnern, daß sie sowohl abstreitet, daß man sie mißhandelt hat, als auch, daß sie jemanden umgebracht hat. Wir haben das heute früh wieder und wieder mit ihr durchgekaut, und sie wird sich nicht auf die Notwehrsituation einer mißhandelten Ehefrau berufen - weder mit Freeman noch mit mir oder mit sonstwem. Und das führt mich zu der Frage ... Warum in aller Welt gibt sie nicht einfach zu, daß sie mißhandelt worden ist? Wie Sie gesagt haben, kommen mehr und mehr Leute heutzutage mit dieser Verteidigung straffrei davon. Es gibt einschlägige Präzedenzfälle. Wir haben ihr das gesagt. Also wieso, wenn sie eine gute Chance, vielleicht sogar die beste Chance dazu hat,

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