Das Urteil
Bananenmus.
Hardy beruhigte sie, er glaubte nicht, daß Vincent es mitkriegen würde. Es war ja nicht so, daß sie sich selbst unter den Tisch trank.
»Ich weiß. Manchmal mach ich mir einfach Sorgen.« Sie setzte ihr Weinglas ab und kratzte auf der Tischdecke herum. Aber letztlich machte sie sich auch nicht über Vincent Sorgen - es ging um etwas anderes, und Hardy war sich einigermaßen sicher, daß er wußte worum.
»Ziemlich schlimm?«
Sie nickte. »Du schaust dich hier drin um und siehst all diese gutgelaunten Leute, und dann da drüben, im Gefängnis ... du fragst dich, wie die Welt in Wirklichkeit beschaffen ist.«
Hardy legte seine Hand auf die ihre.
»Ich meine, wie isoliert leben wir eigentlich?«
Der Kellner nahm den leeren Teller vom Tisch. Mit einer kleinen Handbürste fegte er ein paar imaginäre Krümel vom gestärkten Tischtuch. Am Klavier neben der Bar fing irgendwer an, klassische Musik zu spielen.
19
Am Freitag hatte Hardy den Eindruck, daß er viel unternommen und sehr wenig herausgefunden hatte. Freeman hatte wegen der Sache mit dem Geldautomaten wie üblich nur minimale Begeisterung an den Tag gelegt. Trotzdem hatte er -widerwillig - zugegeben, daß es sich irgendwann als nützlich erweisen konnte.
Freemans Haltung ließ in Hardy den Entschluß reifen, daß es höchst nachteilig sei, an die Schuld eines Mandanten zu glauben. Er versuchte möglichst unbefangen zu bleiben. Er hatte Lightners Meinung - daß sich die Angewohnheit zu prügeln und zu schlagen von Generation zu Generation weitervererbte - anhand verschiedener anderer kompetenter Quellen, gedruckter wie ungedruckter, verifiziert. Die Erklärung war jedesmal die gleiche - Jennifer hatte miterlebt, daß ihre Mutter zu Hause Prügel bekam. Ihre Mutter nahm es immer und immer wieder einfach hin, möglicherweise ohne sich bei ihren Kindern zu beklagen. Also wurde dieses Verhalten zu dem, was sich Jennifer vom Eheleben erwartete - wenn das fehlte, war das Ganze einfach nicht ganz in Ordnung. Die richtige Vertrautheit konnte gar nicht erst entstehen.
Demnach hatte Larry, so Hardys Überlegung, Jennifer verprügelt. Und ohne Zweifel ihr erster Mann Ned ebenso. Lightners Theorie zufolge hätte Jennifer Probleme damit gehabt, einen von beiden zu heiraten, wenn er ihr nicht zumindest ein bißchen brutal gekommen wäre, während er ihr den Hof machte - sie hätte nicht den Eindruck gewonnen, daß die beiden aus dem Holz geschnitzt seien, aus dem Ehemänner gemacht wurden.
Ob es nun vor Gericht bewiesen werden konnte oder nicht, Terrells Szenario, demzufolge Jennifer Ned das Atropin gespritzt hatte, war plausibel. Und - so mußte Hardy annehmen - wenn sie Ned umgebracht hatte, dann hatte sie vielleicht auch Larry getötet.
Der nächste Schritt war, daß Jennifer, falls sie tatsächlich die beiden Männer umgebracht hatte, zumindest einen guten Grund hatte, und dennoch hatte Hardy massive Schwierigkeiten mit jeder Art von vorsätzlichem Mord. Jennifer freilich war keinen Millimeter davon abgerückt, die Prügel schlichtweg abzustreiten, was David Freeman täglich neu auf die Palme brachte, ob er nun ihre eidesstattliche Versicherung in der Tasche hatte oder nicht.
Freeman hatte Angst, daß er verlieren und das Urteil in der Berufung bestätigt würde. Aber er steckte in der Zwickmühle er konnte das BWS noch nicht einmal zur Sprache bringen. Denn wenn er dies tat, gab er mehr oder minder zu, daß Jennifer die Tat begangen hatte, obwohl sie dies abstritt, und führte sogar noch den Grund dafür an.
Hardy hatte Jennifers Bruder Tom schließlich auf einer Baustelle in der Nähe des Golden Gate Park aufgetan. Weil Hardy tagsüber zu tun gehabt hatte, war er nach Feierabend in schmutzigen Jeans und mit zwei Sechserpackungen Bier der Marke Mickey's Big Mouth in der Hand auf der Baustelle aufgetaucht und hatte Tom dazu bewegen können, sich zwanzig Minuten lang mit ihm zu unterhalten.
Hardy ließ sich bestätigen, was Toms Mutter, Nancy, gesagt hatte - Jennifer und Larry hatten die Familie seit ein paar Monaten nach der Hochzeit nicht mehr besucht. Tom war damals siebzehn gewesen. Hardy konnte sehen, daß es den Jungen damals verletzt hatte, auch wenn es der Erwachsene jetzt abtat und große Töne spuckte.
Das letzte Mal, daß Tom die Witts gesehen hatte, war am Weihnachtsabend gewesen. Niemand hatte das bislang erwähnt, und Hardy fragte, warum nicht.
Tom hatte einfach die Achseln gezuckt. Wen kümmerte das schon? Er war am
Weitere Kostenlose Bücher