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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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vielleicht - Freunden und hielten Händchen. Ein Mädchen, das weinte, saß zwischen seinen Eltern. Fünf andere saßen allein und hatten jeweils einen Stuhl zwischen sich freigelassen - sie kauten Kaugummi, blätterten in Zeitschriften, hörten sich Musik im Walkman an. Gelangweilt und unbekümmert? Verängstigt und zurückgezogen? Schwer zu sagen.
    Der Mann an der Auskunft war ein freundlicher und hilfsbereiter junger Schwarzer mit akkurat gestutztem Bärtchen und Afrofrisur. Er trug einen weißen Kittel mit einer Gay-Pride-Plakette, auf der »Sam« zu lesen stand. Hardy reichte ihm seine Visitenkarte, stellte sich vor und fragte, ob Sam ihn an jemanden weiterverweisen könne, der ihm ein bißchen was über Dr. Witt erzählen könnte.
    »Sie können mich fragen. Ich erinnere mich ziemlich gut an ihn. Jammerschade, was passiert ist.«
    Hardy pflichtete ihm bei und erläuterte, daß er versuchte, sich darüber Klarheit zu verschaffen.
    »Ich hab gedacht, seine Frau wär's gewesen.«
    »Das wird behauptet.«
    »Sie meinen, sie war's nicht?«
    »Sie sagt, daß sie's nicht war, also dreh ich einfach mal ein paar Steine um - vielleicht findet sich ja 'ne Schlange.«
    »Hier? Im Krankenhaus?«
    »Sieht ganz so aus, als stünden da draußen auf dem Bürgersteig eine Menge wütender Leute.«
    Sam winkte ab. »Die Abtreibungsgegner? Nein, die können Sie vergessen. Die wohnen quasi da draußen auf der Straße.«
    »Man hat Leute umgebracht, Sam, hat sie zusammenge schlagen, als sie von der Arbeit in Krankenhäusern wie diesem nach Hause fahren wollten.«
    Sam behielt sein zuversichtliches Lächeln im Gesicht. »Und was ist mit Kassiererinnen im Supermarkt und mit Busfah rern? Auch die werden zusammengeschlagen. Herzlich will kommen in der Großstadt.«
    Hardy versuchte es auf einer anderen Schiene. »Na schön, vielleicht war es eine Privatrache. Irgendwer vom Personal? Keine Ahnung. Vielleicht hatte Dr. Witt Streit mit irgend jemandem?«
    » Ausgeschlossen. Ausgeschlossen. Das hier ist kein Ort, wo geselliges Beisammensein großgeschrieben wird. Die Ärzte, die f reiwillig Dienst tun, kommen, machen ihre Arbeit und gehen wieder. U nd Witt noch mehr als die meisten anderen. Keiner von denen schreibt hier Rechnungen - kein Grund, hier unnötig rumzuhängen.« Er wies auf das Wartezimmer hinter Hardy und senkte die Stimme. »Das hier ist weiß Gott nicht die lustigste Ecke in der Stadt.«
    Hardy wußte, wann das Ende der Fahnenstange erreicht war. Er zeigte auf seine Visitenkarte, die auf dem Tresen zwi schen ihnen lag. »Falls Ihnen doch irgendwas Persönliches einfällt - egal was -, würden Sie mich bitte anrufen?«
    Hardy sah zu, wie seine Frau einmal durchs ganze Restaurant ging, sah, wie sich die Köpfe der Leute an der Bar nach ihr um drehten. Als er angefangen hatte, sich in Frannie zu verlieben, hatte ihm ihr Aussehen einiges Kopfzerbrechen bereitet - sie sah zu gut aus. Er wußte, daß man leicht auf ein hübsches Gesicht hereinfallen konnte. Das war ihm bereits früher passiert. Und obwohl er Frannie kannte, seit sie ein junges Mädchen war - die jüngere Schwester von Moses -, trat er erst mal kräftig auf die Bremse, als er anfing, sie näher kennenzulernen, sie wirklich wahrzunehmen. Er tat es nicht allzu lange, aber lange genug, um sich davon zu überzeugen, daß zumin dest das meiste von dem, was er an ihr liebte, nichts mit ihrem Äußeren zu tun hatte. Er mußte allerdings zugeben, daß selbst nach drei Jahren noch immer eine ganze Menge davon sehr wohl damit zu tun hatte.
    Der Kellner stand bereit und zog den Stuhl für sie zurück. Die kleinen Annehmlichkeiten.
    »Wieso lächelst du?«
    »Ich bin eitel. Oberflächlich. Ich frage mich, ob unsere Beziehung rein körperlich ist.«
    Frannie schob sich stilvoll einen Happen Calamari in den Mund. Sie saßen im Restaurant »Moses'« am Fenster und blickten hinaus auf den Washington Square, der im Sonnenschein lag. »Naja, wenigstens teilweise.«
    Sie hatten nicht darüber gesprochen, aber beide das Gefühl gehabt, sie müßten in ein hübsches Restaurant gehen - hell, gediegen, sorgenfrei -, um den bitteren Geschmack des Morgens wegzuspülen.
    Sie faßte über den Tisch und legte einen Finger an Hardys Wange, zeichnete damit sein Profil nach. Sie hob ihr Glas und schwenkte den Chardonnay, starrte in die Flüssigkeit. »Wein an zwei Tagen nacheinander. Meinst du, daß es Vincent nichts schaden wird?« Ihr Sohn ernährte sich von Muttermilch und ein klein wenig

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