Das Urteil
Gesundheitswesen zusammen, die aufgrund von Kürzungen im Finanzhaushalt der Stadt entlassen werden sollten. Die beiden Gruppen bewegten sich in ihrer jeweiligen Sphäre und machten einen vorsichtigen Bogen um die anderen, marschierten vom einen Vordereingang des Krankenhauses zum nächsten und dann wieder zurück. Es sah beinahe so aus, als folge der Tanz einer ausgefeilten Choreographie.
In den Monaten, in denen Jennifer auf der Flucht gewesen war, hatte Hardy die sich laufend zuspitzende Eskalation der Aktionen der Abtreibungsgegner beiläufig verfolgt. Seit er sich damals mit Glitsky gestritten hatte, war eine städtische Angestellte in der Sunset Clinic ums Leben gekommen, als sie das Pech hatte, Überstunden zu machen. Wahrscheinlich hatten die Bombenleger es überhaupt nicht darauf angelegt, daß sich jemand in der Nähe aufhielt, als das Ding in die Luft ging, man wollte ja bloß seiner Meinung Nachdruck verleihen, würden sie wohl sagen. Trotz der edlen Absichten war die arme Frau nicht einen Deut weniger tot.
Einem Arzt und einer Krankenschwester hatte man die Wohnung verwüstet - die Fenster eingeschmissen, Drohungen an Steine gebunden oder an die Hauswand gesprüht. Außerdem waren mindestens sechs Überfälle auf Krankenhauspersonal verübt worden, das Schichtende hatte, wenngleich niemand sagen konnte, ob es sich dabei um zufällige Gewaltakte handelte, wie sie typischerweise zu später Nachtstunde vorkamen, oder ob sie mit den Krankenhäusern zusammenhingen.
Larry Witt hatte hier als Freiwilliger gearbeitet und - so schätzte Jennifer - pro Woche zwischen zwei und fünf Abtreibungen durchgeführt. Nach Jennifers Worten war dies etwas, woran er glaubte - die Leute sollten keine Babys bekommen, die sie nicht haben wollten, das größte Problem sei die Übervölkerung, und ein Kind, das in ärmlichen Verhältnissen und vernachlässigt aufwuchs, würde höchstwahrscheinlich immer in Elend und Armut leben.
Die ganze Debatte war tragisch, und Hardy stimmte in allen Punkten zu, doch das moralische Dilemma der Frage, wann menschliches Leben eigentlich anfing und - darüber hinaus - welchen Wert ein Menschenleben hatte, war für jemanden irischer Abstammung, der früher einmal katholisch gewesen war, nicht so schnell zu lösen. Hardy war zwar fest davon überzeugt, daß man dem einzelnen die Wahl überlassen mußte, aber andererseits war er kein Anhänger der Abtreibung auf Wunsch als Form der Geburtenkontrolle. Zumindest sollten sich die Leute gehörig ins Zeug legen, um sich an das zu erinnern, was sie am Abend zuvor vergessen hatten. Aber die Leute sollten sich ebenfalls gehörig ins Zeug legen, um sich daran zu erinnern, daß es nicht anging, auf andere Menschen zu schießen, doch auch das schien nicht allzu häufig zu passieren.
Hardy überquerte die Straße und kam sich in seinem Anzug viel zu schick angezogen vor. Im ganzen Block war sonst kein einziger Mann mit Schlips und Sakko zu sehen. Die Demonstranten - Männer wie Frauen - trugen Jeans und T-Shirts und Anoraks mit dem Aufdruck der 49ers oder der Giants, dazu Sportschuhe, feste Stiefel oder Birkenstock-Sandalen. Er paßte den richtigen Zeitpunkt ab, ging an beiden Ketten der Demonstranten vorbei, und gelangte ohne weitere Vorkommnisse ins Gebäude.
Im Inneren sah das Krankenhaus in etwa so aus, wie er es erwartet und bei der Yerba Buena Medical Group nicht zu sehen bekommen hatte - gelbstichige Fliesen, grelles Neonlicht, der altvertraute Geruch nach Krankenhaus.
Im Vorraum der Verwaltung mußte er fünfundzwanzig Minuten lang Schlange stehen und wurde dann zur Sekretärin des Verwaltungschefs geschickt. Als sie von ihrer Mittagspause zurückkam und herausfand, daß Hardy mit ihr über Abtreibungsunterlagen reden wollte, teilte sie ihm mit, er hätte anrufen und herausfinden können, daß die Klinik keinerlei Unterlagen zur Verfügung stellte und auch keinerlei Informationen darüber, was in den einzelnen Karteien festgehalten sei. Wie Hardy gewiß verstehen könne, seien diese Aufzeichnungen streng vertraulich.
Da er frustriert war und noch eine Stunde totschlagen mußte, bis er Frannie abholen konnte, blieb er draußen vor dem Büro noch ein Weilchen in dem riesigen Vorraum stehen und folgte dann den Schildern durch einen langen, hallenden Gang bis zur Abteilung Geburtshilfe/Gynäkologie.
Er zählte acht junge Frauen im Wartezimmer. Alle schienen unter zwanzig zu sein, zwei eher um die fünfzehn. Zwei davon saßen neben ihren -
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