Das verborgene Feuer
zunehmenden Begeisterung für Beatrice nicht hätte überraschen sollen. Deshalb hatte er ja jede längerfristige Beziehung zu Frauen gemieden: Kaum war sein Beschützerinstinkt geweckt, handelte er viel weniger rational.
Er musste Carwyn und Tenzin Bescheid geben. Weil der Priester noch unterwegs war, würde er ihm eine Nachricht hinterlassen. Hoffentlich redete Tenzin wieder, doch er hatte keine Ahnung, ob ihre luftigen Visionen ihr erlaubten zu reisen.
Dann war da Livia in Rom. Sie hatte ihm eine Abfuhr erteilt, doch er musste wissen, was Stephen De Novo wirklich zugestoßen war. Er durfte sich ihre langweiligen Versuche nicht länger gefallen lassen, ihn zu einem Besuch zu bewegen – denn zweifellos war das der Grund gewesen, weshalb sie ihm überhaupt einen Korb gegeben hatte.
Er musste mit Gavin Wallace sprechen. Für einen entsprechenden Preis würde der Schotte ihm alle nennen, die neu in der Stadt waren – samt deren Familien und Freunden. Und ihm womöglich auch sagen, was sie am liebsten tranken, doch Giovanni wusste nicht, ob er so viel ausgeben wollte.
Er musste Caspar und Isadora in das Haus in den Hügeln schaffen. Das Letzte, worüber er sich in diesem Chaos Sorgen machen wollte, war ihr Wohlergehen. Lorenzo empfand für ältere Leute leidenschaftliche Verachtung, und die beiden hatten hoffentlich noch nicht bemerkt, dass er sie ins Visier genommen hatte.
Giovanni hörte Wasser in ein Waschbecken laufen – Beatrice würde also gleich kommen. Ihre Tränen hatten ihn erstaunt, doch er spürte, dass ihre Aufgebrachtheit größer war als ihre Angst. Mit dieser Art Gefahr hatte er seit so vielen Jahrhunderten zu tun, dass er vergessen hatte, wie bestürzend sie für ein junges Wesen sein musste.
Sie öffnete die Tür, und er sah sie erstmals ohne Make-up. Sie musste es abgewaschen haben; nur etwas schwarze Wimperntusche war auf dem rechten Lid zu sehen.
Er hatte zuerst an sie gedacht. Nun verschränkte er die Arme und widerstand dem Drang, sie an sich zu ziehen.
»Besser?«
Sie nickte wortlos und ging zurück in den Lesesaal. Er eilte ihr voraus und vergewisserte sich, dass niemand hereingekommen war, während er in Gedanken anderswo gewesen war.
»Lassen Sie mich die PC s runterfahren und abschließen.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Bringen Sie die Briefe ins Magazin. Die letzten vier Ziffern meiner Sozialversicherungsnummer – das ist der Code für das Schloss.« Ob er die Nummer kannte, fragte sie nicht, und hätte sie nicht so erschüttert gewirkt, hätte er über ihre zutreffende Annahme gelacht.
Er räumte alles an seinen Platz und richtete gleichzeitig seine Aufmerksamkeit darauf, ob jemand in seiner Abwesenheit den Saal betrat. Ihm fielen die akribische Ordnung auf den Dokumentenregalen auf, die leeren Plätze, an die die Schachteln gehörten, und der schwache Duft nach Geißblatt in diesem kleinen Raum. Er überlegte kurz, ob er die Briefe, die ja schließlich ihm gehörten, einfach an sich nehmen sollte, doch er wehrte sich gegen die Versuchung und konzentrierte sich auf die aktuelle Gefahr. Als er wieder aus dem Magazin kam, hatte Beatrice die PC s heruntergefahren, ihre Tasche genommen und die Lichter ausgeschaltet.
Zusammen gingen sie über den Flur und schweigend die Treppe hinunter. Sie ließ sich von ihm zu seinem Mustang führen, und er schloss die Beifahrertür auf, hielt aber inne, bevor er sie öffnete.
»Beatrice –«
»Ich weiß, es ist nicht Ihre Schuld«, sagte sie leise. »Wenn jemand schuld ist, dann mein Vater, obwohl ich sicher bin, dass er nicht damit gerechnet hatte, von einem Vampir angegriffen zu werden, als er nach Italien ging – Sie waren der Nächste, da war es einfach, Ihnen Vorwürfe zu machen.«
Ihre Erklärung überraschte ihn, doch als er sie vernahm, spürte er das Nachlassen einer Anspannung.
»Bereuen Sie, mir begegnet zu sein?«, fragte er leise.
Sie zögerte, sah im schwachen Licht des Parkplatzes zu ihm hoch und öffnete dann selbst die Tür.
»Das habe ich noch nicht entschieden.«
Er nahm Nebenstraßen zum Haus ihrer Großmutter, damit sie sich sammeln konnte, bevor sie Isadora gegenübertreten würde.
»Er ist also wirklich Ihr Sohn?«
»Leider ja.«
»Warum haben Sie ihn bloß verwandelt? War er immer so widerlich?«
Giovanni runzelte die Stirn. »Nein, er war nicht immer so. Als Kind war er fast schüchtern. Er hatte kein leichtes Leben, und ich glaubte, das Richtige zu tun. Es gab eine Zeit, in der ich ihn mochte.
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