Das verborgene Feuer
hoch in ihr Zimmer, ohne sich umzusehen. »Ja, bis heute Abend.«
»Beatrice.«
Endlich blieb sie stehen und drehte sich um. Mit einer blitzschnellen Bewegung glitt er bis auf eine Treppenstufe unter ihr heran, sodass sie fast auf Augenhöhe waren. Er strich ihr mit der Hand über die Wange, und das vertraute Zittern durchlief sie, als sie in seine grünen Augen sah. »Caspar sorgt für ihre Sicherheit. Deiner Großmutter wird nichts geschehen. Er ist gefährlicher, als er aussieht.«
Sie wollte sich an ihn lehnen, sich an seine starke Brust schmiegen, seine Umarmung spüren. Er sollte die kalte Angst vertreiben, die ihre stete Begleiterin geworden war. Sie wollte glauben, nichts Schlimmes oder Unheimliches werde mehr geschehen, ihre Großmutter und Caspar seien bloß in die Ferien gefahren, und die Welt, wie sie sie gekannt hatte, sei nicht in dem Augenblick untergegangen, in dem ein schöner blonder Vampir den Lesesaal betreten hatte. Oder schon Jahre zuvor, als ihr Vater diesem Verrückten entkommen war.
Vor allem wollte sie glauben, Giovanni werde für ihre Sicherheit sorgen.
»Ihr wird also nichts Schlimmes passieren?«, flüsterte sie. »Versprichst du mir das?«
Sie sah das Flackern der Ungewissheit in seinen Augen.
»Nein? Das hatte ich auch fast vermutet.«
17
Houston, Texas
Mai 2004
»Nur noch eine Prüfung.« Charlotte lächelte, als Beatrice in den Lesesaal kam. »Dann hast du alle Scheine!«
Beatrice stellte achselzuckend ihre Tasche neben die Aufsichtstheke. »Und im kommenden Semester mache ich mich wegen der Examen im nächsten Studienjahr verrückt. Juchhu!«
Charlotte lachte leise und schüttelte den Kopf. »Was ist bloß in letzter Zeit mit dir los? Macht dich der Umzug nervös? Ich glaube, ich bin aufgeregter deswegen als du.« Die Bibliothekarin sah weiter die Fotos auf der Theke durch.
»Ich vermisse bloß meine Großmutter.« Das jedenfalls stimmte. Beatrice bekam langsam das Gefühl, ihr Aufbaustudium in Kalifornien sei nicht die beste Idee gewesen – auch wenn sie dort keine Angst vor fremden Vampiren haben musste. Sie hatte nicht gewusst, dass sie Isadora so sehr vermissen würde, obwohl sie froh darüber war, dass ihre Großmutter zufrieden und in Sicherheit zu sein schien.
»Wie geht es ihr denn? Hast du in letzter Zeit mit ihr gesprochen?«
»Erst gestern Abend. Es geht ihr prima.«
»Ich hatte ja keinen Schimmer, dass sie solche Atemprobleme hat.«
Beatrice nickte. »Die hat sie erst … seit Kurzem. Der Arzt hat ihr vorgeschlagen, ein paar Monate in der Wüste zu verbringen. Zum Glück hat sie eine Cousine in New Mexico.«
In Wirklichkeit hatte ihr Großvater Cousinen in New Mexico gehabt, aber als Beatrice sich einen Grund für das Verschwinden ihrer Großmutter hatte ausdenken müssen, war trockene Luft ihr plausibel vorgekommen.
Diese Entschuldigung und ein Anruf ihrer Großmutter hatten Isadoras Freundinnen davon abgehalten, zu ihrem nun verlassenen Haus zu stürmen und herauszufinden, warum sie am Dienstag beim gemeinsamen Abendessen gefehlt hatte.
»Wirklich schade, dass sie nicht zu deiner Examensfeier kommt. Aber man hört ja immer, wie schlecht die Luft in Houston ist, vor allem im Sommer – da hat der Arzt ihr wohl den richtigen Vorschlag gemacht.«
»Ja, das stimmt. Und die Abschlussfeiern sind ein einziger Rummel. Da verpasst sie nichts. Aber wenn ich meinen Master mache, sorge ich dafür, dass sie nach Kalifornien geflogen kommt. Die Luft dort muss besser sein als hier.«
Charlotte zwinkerte Beatrice verschwörerisch zu. »Und dann die Landschaft. Du musst unbedingt eine Affäre mit einem Surfer haben. Ich will Fotos sehen.«
Bald malten sich die beiden alle möglichen romantischen Aussichten für Beatrice im sonnigen Südkalifornien aus. Es tat gut, mit Charlotte zu scherzen, sie über Jungen, Sonnenbräune und Inlineskaten spotten zu hören und sich nach der furchtbaren Anspannung des letzten Monats wieder ein wenig normal zu fühlen.
Seit Beatrice bei Giovanni eingezogen war, hatte sie fast ausschließlich für ihre Uni-Kurse gearbeitet und für die Prüfungen gelernt. Das Haus war riesig, und sie kochten und putzten jeder nur für sich, sodass sie ihn – von zufälligen Begegnungen in der Küche oder in der Wäschekammer abgesehen – selten zu Gesicht bekam. Sie verbrachte mehr Zeit mit Carl, ihrem netten Wachmann, der stets ein freundliches Lächeln und jede Menge Schusswaffen parat hatte.
Von den zwei Rechercheabenden pro Woche abgesehen,
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