Das verborgene Feuer
die sie weiter mit Giovanni in seiner Bibliothek verbrachte, sah Beatrice ihren Mitbewohner nicht oft, erfuhr durch die Nähe aber manches über seine Gewohnheiten.
Giovanni schwamm fast jeden Abend. Einmal war sie um drei Uhr nachts von einem lauten Platschen vor ihrem Fenster wach geworden und hatte ihn über eine Stunde lang seine Bahnen in dem Becken ziehen sehen, ohne dass er einmal Luft holte. Sie hatte ihm nicht die ganze Zeit zugeschaut, doch gemerkt, dass seine Konzentration beachtlich war… genau wie sein nackter Leib. Er war der makelloseste Mann, den sie je gesehen hatte, und sah aus wie eine griechische Statue, gearbeitet aus einem einzigen Block weißen Marmors.
Er beherrschte mehrere Instrumente, schien aber Cello und Klavier zu bevorzugen und spielte oft die ganze Nacht hindurch. Es waren stets sanfte Stücke, die sie beruhigten und ihr halfen, die Albträume durchzustehen, die sie zu plagen begonnen hatten.
Von Whisky abgesehen, nahm er kaum etwas zu sich, meist intensiv schmeckende Dinge wie Oliven, Avocados und Käse; aber sie hatte ihn nie Fleisch essen sehen. Er mochte süße Gerüche und verbrachte viel Zeit im Garten. Die mit Geißblatt überwachsene Laube hatte er besonders gern, und sie hatte ihn dort mehrmals nachts Bücher lesen sehen.
Auch Wasser liebte er, und es beruhigte ihn schon, es nur zu hören. Wenn er ärgerlich oder angespannt war, sprang Giovanni sofort in den Pool. Sie erinnerte sich, wie die von Lorenzo manipulierte Luftfeuchtigkeit die Flammen gelöscht hatte, die ihm über die Haut züngelten, wenn er zornig war, und fragte sich, ob ihn Wasser aus diesem Grund anzog.
Erst die Stimme von Dr. Christiansen riss sie aus ihren Gedanken.
»Hallo, meine Damen. Ich habe einen neuen Pico-Brief.«
»Wirklich?« Beatrice war verblüfft. Sie hatte nicht damit gerechnet, noch einen weiteren dieser faszinierenden Briefe zu sehen, weil Lorenzo inzwischen in der Stadt war (auch wenn er nach ihrer ersten Begegnung und dem Angriff auf ihre Großmutter auf Tauchstation gegangen war). Nachdem sie in aller Ruhe hatte Revue passieren lassen, was er im Lesesaal gesagt hatte, hatte sie einige weitere Namen in ihr Notizbuch eingetragen.
Nic.
Niccolo
. Er hatte Giovanni »Niccolos Musterknaben« genannt, um ihn zu verspotten. Sie würde sich noch mal eins der ersten Schreiben ansehen müssen, denn sie war sich fast sicher, dass darin ein Niccolo erwähnt wurde, erinnerte sich aber nicht mehr, in welchem Brief und welchem Zusammenhang.
»Ja, eine weitere Sendung aus Ferrara. Anscheinend hat sie etwas länger gebraucht und ist verspätet eingetroffen.«
»Wir hätten sie also schon im April bekommen sollen?«
Dr. Christiansen lächelte. »Kein Anlass zur Sorge, B – jetzt haben wir den Brief, und Sie haben viel Zeit, ihn sich anzusehen, bevor Sie uns nächsten Monat verlassen. Würden Sie die Begleitnotizen bitte mehrmals kopieren, damit wir sie den Horden geben können, die sich demnächst auch auf dieses Dokument stürzen werden?«
»Aber gern.«
Sie nahm die Notizen, während Dr. Christiansen und Charlotte sich über den siebten Brief unterhielten, ging den Flur hinunter zur Kopier- und Fotostelle und zog rasch einen Stuhl heran, um die Aufzeichnungen im Sitzen zu lesen. Kaum hatte sie die Randbemerkungen zu der Übersetzung überflogen, zog sie auch schon ihr Notizbuch heraus und brachte Einzelheiten zu Papier.
Beim Durchgehen der Bemerkungen zu Savonarolas Rückkehr nach Florenz und zu den Nachrichten über Freunde verweilte ihr Blick auf der Erwähnung einer geheimnisvollen Frau namens G.
Ich habe einen Brief von G. bekommen. Sie ist offenbar bestürzt darüber, dass Du den Briefverkehr abgebrochen hast, und erwähnt Deine Bitte, Dir Deine Sonette zurückzusenden. Ich bitte Dich, Giovanni – welche Absichten Du ihr gegenüber auch verfolgst: Unternimm nichts, was Dein Werk zerstört.
Er wollte seine Gedichte vernichten? Bei diesem Gedanken hätte sie fast losgeheult. Doch dann begegnete ihr ein Name, der in ihrem Gedächtnis zündete.
Ich habe mit Signore Andros gesprochen, nachdem er von seinem Besuch bei Dir in Fiesole zurück war.
Signore Andros
… Sie kramte in der Erinnerung und blätterte in ihren Notizen, bis sie den Namen entdeckte.
Signore Niccolo Andros
, der die faszinierende Bibliothek in Perugia besaß, in der Giovanni sich nach seiner Haft mit dem kleinen Jungen erholt hatte.
Ob das die Verbindung zu seinen Büchern war? Gehörten sie tatsächlich diesem
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