Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Handy-Empfang – keine Anrufe, keine SMS – kam es ihm viel länger vor. Er hatte gehofft, dass sie ihn im Pub aufsu chen würde, aber sie war nicht gekommen. Er fuhr erst nach Wareham, wo es einen kleinen Supermarkt gab, dann hinunter zu ihrem Hof, und parkte vor dem Haus. Auf sein Klopfen reagierte niemand, also ging Zach zum Strand.
Hannah stand weit draußen am Ende der verborgenen Felszunge, die Arme vor der Brust verschränkt und die Jeans bis zu den Knien hochgekrempelt. Sie trug ein weites blaues Hemd, das den Wind einfing wie ein Segel und sich in ihrem Rücken blähte. Die kräftige Brise peitschte die Wasseroberfläche zu tausend winzigen Wellenkämmen auf und wirbelte salzige Gischt in die Luft. Zach rief nach ihr, doch mit dem Wind in den Ohren hörte sie ihn nicht. Er stellte seine Plastiktüten ab und setzte sich auf einen Felsen, um Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Er wollte die resolute Linie ihres Rückens zeichnen, die einsame Gestalt, die sich beinahe vor dem weiten Meer verlor, umgeben von unruhigem Wasser, das nur darauf zu lauern schien, dass sie stolperte oder einen einzigen falschen Schritt tat. Sie wirkte unverrückbar und schien zugleich in großer Gefahr zu schweben. Er überlegte, für wen diese Zeichnung sein könnte, und wusste sofort, dass sie nur für ihn selbst wäre, um die schlichte Freude zu bewahren, die er bei ihrem Anblick empfand. Derselbe Grund, aus dem Aubrey seine Frauen gezeichnet hatte, dachte Zach und lächelte bei der Vorstellung, wie Hannah wohl darauf reagieren würde, als »eine seiner Frauen« bezeichnet zu werden. Er tat ein paar vorsichtige Schritte auf den Felsendamm und tat sich schwer damit, dem Boden unter seinen Füßen zu trauen, wenn er ihn nicht sehen konnte. Er breitete die Arme aus, um sich notfalls abfangen zu können, und spürte den Wind zwischen seinen Fingern.
»Hannah!«, rief er erneut, doch entweder konnte sie ihn immer noch nicht hören, oder sie war zu tief in Gedanken versunken. Zach watete weiter und fluchte, als er sich dicht hinter ihr die Zehen an einer kleinen, verborgenen Stufe stieß. Sie starrte immer noch aufs Meer hinaus, und Zach hielt kurz inne und tat es ihr gleich. Er fragte sich, ob sie immer noch nach Toby Ausschau hielt. Ihre ganze Haltung drückte aus, dass sie warten würde, solange es eben nötig war, und Zach hätte sie am liebsten gepackt und zu sich herumgedreht, um ihre Wacht zu unterbrechen. Ein Licht blitz zog seinen Blick auf sich. Ein kleines Boot, ein ty pisches Fischerboot, glitt hundertfünfzig Meter vom Ufer entfernt von Osten nach Westen übers Wasser. Zach hatte es bisher nicht richtig wahrgenommen, doch nun sah er, dass es nur sehr langsam vorankam. Und eine Gestalt an Bord schien die Küste ebenso aufmerksam zu betrachten wie Hannah das Meer. Da war der Lichtblitz wieder – die Sonne, die sich flüchtig auf Glas spiegelte. Ein Fernglas?
»Ich glaube, der Fischer da draußen steht auf dich«, sagte er dicht an Hannahs Ohr. Sie fuhr zusammen, schnappte nach Luft und wirbelte herum. Dann schlug sie ihm ins Gesicht, nicht besonders hart, aber auch nicht nur spielerisch.
»Verdammt noch mal, Zach! Schleich dich nicht so an mich heran!«
»Ich habe nach dir gerufen – mehrmals.«
»Tja, offenbar habe ich dich nicht gehört«, sagte sie, und ihre Miene wurde weicher.
»Entschuldigung«, sagte Zach. Er strich mit den Fingern über ihren Unterarm und nahm ihre Hand.
Hannah wandte sich wieder von ihm ab und schaute dem kleinen Boot nach, das nun doch in Richtung der nächsten Klippe verschwand. Hatte sie also dieses Boot beobachtet und doch nicht auf Toby gewartet? Zach folgte ihrem Blick mit zusammengekniffenen Augen und sah kurz etwas in einem blassen Lila aufleuchten, als sich jemand an Deck bewegte. Die Farbe erinnerte ihn an etwas, aber er kam nicht darauf.
»Kennst du das Boot da? Ich meine, die Leute darauf?«, fragte er. Hannah wandte sich hastig davon ab und blickte flüchtig zu ihm auf.
»Nein«, antwortete sie kurz angebunden. »Nein, kenne ich nicht.« Wie um endlich einen Vorwand dafür zu haben, ihm ihre Hand entziehen zu können, schob sie sich das Haar aus dem Gesicht und strich es hinters Ohr.
»Ich habe ein Picknick mitgebracht. Samt Grill und allem Drum und Dran. Hast du Hunger?«
»Ich sterbe gleich vor Hunger«, antwortete sie lächelnd. Zach hielt ihr den Arm hin und freute sich, als sie sich bei ihm unterhakte und mit ihm zum Strand
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