Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
ins Auge, und diesmal erkannte er es sofort. Dieses blasse Lila. Zach sah Kopf und Schultern eines kräftigen Mannes über den Zaun aufragen, groß und stämmig mit einem Specknacken, ein Fass von einem Kerl. Er trug das lange braune Haar aus dem Gesicht zurück ge bunden, und ein ungepflegter Bart verhüllte sein Doppelkinn. James Horne, einer der beiden Brüder, die in Blacknowle einen so schlechten Ruf hatten. Er sprach mit jemandem, der hinter dem Zaun verborgen war, und es handelte sich offensichtlich um ein sehr ernstes Gespräch. Der Mann machte ein finsteres Gesicht und unterstrich einige Worte mit ausgestrecktem Zeigefinger. Trotzdem drang seine Stimme nicht einmal bis zu Zach herüber. Offenbar beobachtete er da eine sehr leise Auseinandersetzung.
Er wusste, dass er nicht hinschauen sollte, für den Fall, dass James Horne aufblickte und ihn bemerkte. Gerade jetzt würde er sich bestimmt ungern beobachtet fühlen oder gestört werden. Zach ging so schnell wie möglich weiter und tat so, als hätte er gar nichts gesehen außer der Straße vor seinen Füßen. James Horne war nicht nur groß und massig, er sah auch nicht gerade freundlich aus. In diesem Moment war die Auseinandersetzung vorbei, und der Mann im fliederfarbenen Sweatshirt wandte sich halb um und sah der Person nach, die der Zaun verborgen hatte. Zach starrte demonstrativ geradeaus, als er am Haus vorbei zum Fußweg nach The Watch ging. Aus sicherer Entfernung blickte er über die Schulter zurück und entdeckte zu seiner Überraschung Hannah, die mit steifen Armen und zornig geballten Fäusten in die Gegenrichtung davonstapfte.
Zach kehrte um und joggte ein Stück, um sie einzuholen.
»Hannah, warte!« Sie wirbelte herum, und Zach erschrak über ihren Gesichtsausdruck. Sie sah furchtbar wütend aus und gleichzeitig verängstigt. Als sie ihn entdeckte, blinzelte sie, und ihre Lippen zuckten zwar, doch sie brachte offenbar kein Lächeln zustande.
»Zach! Was tust du denn hier?«
»Ich wollte gerade zu Dimity. Ist alles in Ordnung? Was war denn da los?«
»Ja, alles okay. Ich war nur … Bist du auf dem Weg zum Pub?«
»Nein. Ich will zu Dimity, wie gesagt … Aber ich gehe gern mit, wenn du …«
»Gut. Gehen wir.«
»Das war doch James Horne, oder nicht?«
»Wer?«
»Der Mann, mit dem du gerade gesprochen hast. Das war James Horne.«
»Du lernst also schon die Einheimischen kennen«, brumm te sie und ging mit schnellen Schritten neben ihm her.
»Er war vor Kurzem abends im Pub und hat sich mit Pete angelegt. Na ja, sein Bruder jedenfalls. Und ich dachte, ich hätte ihn auf dem Fischerboot gesehen, das du neulich vom Felsendamm aus beobachtet hast«, sagte Zach. Hannah machte ein finsteres Gesicht, sah ihn jedoch nicht an.
»Gut möglich, dass du ihn auf einem Boot gesehen hast. Immerhin ist er Fischer.«
»Gerade eben sah es aus, als hättet ihr Streit.« Zach musste sich beeilen, um mit Hannahs unerbittlichem Tempo mitzuhalten. Sie ignorierte seinen letzten Satz. »Hannah, jetzt warte doch.« Er nahm sie beim Arm und hielt sie fest. »Ist wirklich alles in Ordnung? Er hat dich doch nicht – bedroht, oder? Schuldest du ihm vielleicht Geld?«
»Nein, verdammt noch mal! Und wenn es so wäre, würde ich ihn wohl kaum besuchen gehen, oder?«
»Schon gut! Entschuldigung.«
»Ach, vergiss es einfach, Zach. Es ist nichts.« Sie ging weiter.
»Nichts stimmt offensichtlich nicht …«, begann Zach, doch der Blick, den sie ihm zuwarf, ließ ihn verstummen. »Also schön. Ich wollte dir ja nur helfen.«
»Du kannst mir helfen, indem du mir ein Bier spendierst und dir keine Gedanken um James Horne machst.«
»Gut! Wie ist denn die Prüfung heute Morgen gelaufen?« Endlich verlangsamte Hannah ihren Schritt. Sie hatten den Pub schon fast erreicht, und sie blieb stehen, um aufs Meer hinabzuschauen und auf ihren Hof. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Nasenflügel blähten sich leicht, als sie tief durchatmete. Einen Moment lang schien sie ganz in Gedanken verloren, doch dann lächelte sie. Aus diesem Lächeln sprach aufrichtige Freude.
»Sie ist gut gelaufen«, sagte sie, und sie gingen hinein.
Bei einem Glas Bier erzählte sie ihm von der Inspektion, doch er ertappte sich dabei, dass er nur mit halbem Ohr zuhörte. Immer wieder lenkte ihn der Gedanke an James Horne ab und die Frage, warum sie Zach nicht sagen wollte, was sie mit Horne zu tun hatte. Er rief sich ins Gedächtnis, wie sie am Ende des Felsendamms gestanden hatte, während
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