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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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wurde. Bücherregale säumten die Wände, und wo immer ein wenig Platz war, hing ein Bild. Zach ent deckte Dennis und ging sofort darauf zu. Er kannte die Zeichnung natürlich schon aus dem Auktionskatalog, in dem er sie mehrmals studiert hatte. Jetzt studierte er sie erneut, und mit jeder Sekunde wuchs seine Enttäuschung. Das Original zu sehen brachte ihm kein bisschen Klarheit. Er war sich bewusst, dass Mrs. Langton ihn genau beobachtete, und befand, dass er etwas mehr Interesse vortäuschen sollte, wenigstens der Form halber.
    »Dürfte ich es zum Fenster bringen und es mir dort ansehen?«, fragte er.
    »Natürlich. Nur zu.« Die Zeichnung steckte in einem schweren Holzrahmen, und Zach hielt ihn gut fest, während er ihn von der Wand nahm. Am Fenster drehte er sich um, bis das Tageslicht direkt auf das Papier fiel. Er starrte die Bleistiftstriche an, die Signatur, den vieldeutigen Gesichtsausdruck des jungen Mannes. Er starrte auf all das und wünschte, irgendetwas würde daraus emporsteigen, aber nichts geschah. Doch er wurde das Gefühl immer noch nicht los, dass mit dem Bild etwas nicht stimmte.
    »Kein Meisterwerk, ich weiß, aber mir hat die Zeichnung ganz gut gefallen. Und Dennis war geradezu ein Sonderangebot«, sagte Annie Langton, als das Schweigen ein wenig zu lange gedauert hatte. »Soll ich Sie ein Weilchen allein lassen?«, fügte sie hinzu.
    »Nein, danke, das ist wirklich nicht nötig«, sagte Zach.
    »Sie haben die Frage schon geklärt, derentwegen Sie hier sind? So schnell?«
    »Nein, ich fürchte nicht. Sie haben nicht zufällig mehr über den Verkäufer erfahren, oder?«
    »Nein, und ich habe mich eingehend erkundigt – ich bin genauso neugierig darauf wie alle anderen, wo diese neuen Werke plötzlich herkommen. Üblicherweise darf der Ver käufer zumindest dem Käufer genannt werden, diesmal jedoch nicht. Strengste Anonymität.« Sie zog bedauernd die Augenbrauen in die Höhe.
    »Und haben Sie es mitsamt diesem Rahmen gekauft?«
    »O nein. Es war gar nicht gerahmt, als es im Auktions haus eintraf. Nur in ein paar schmuddelige Blätter Zeitungs papier gewickelt, kaum zu fassen – völlig ungeeignet natürlich. Zum Glück hat die Druckerschwärze nur auf der Rückseite leicht abgefärbt, nicht vorne.«
    »In Zeitungspapier? Der Verkäufer ist also nicht gerade ehrfürchig damit umgegangen. Erinnern Sie sich, was für eine Zeitung das war?«
    »Die Times, glaube ich, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Nichts Aufschlussreiches – das Datum war etwa einen Monat vor der Versteigerung. Ich habe sie noch, falls Sie sie sehen möchten?«
    »Sie haben sie aufbewahrt? Ja, gerne.« Innerlich betete Zach darum, dass die Seiten von einer Lokalzeitung stamm ten, nicht aus einer großen Tageszeitung.
    »Nun, ich persönlich finde, dass solche Dinge irgendwie mit der Herkunft eines Werkes verbunden sind, so unbedeutend sie auch sein mögen.« Mrs. Langton ging zu einer großen Kommode, bückte sich nach der untersten Schublade und holte eine leicht zerdrückte zylindrische Rolle Zeitungspapier heraus. »Hier, bitte sehr. Allerdings wird Ihnen das kaum weiterhelfen, fürchte ich.«
    Die Seiten gehörten tatsächlich zu einer Ausgabe der Times . Enttäuscht rollte Zach den Zylinder auf und überflog das Datum und ein paar Überschriften. Er wusste selbst nicht recht, was er zu finden hoffte, doch es bestand immerhin die Chance, dass der vorherige Besitzer des Bildes irgendeinen Hinweis auf seine Identität hinterlassen haben könnte. Er drehte die Blätter um und musterte die Rückseite, und etwas in einer rechten unteren Ecke ließ ihn innehalten. Da waren ein paar verschmierte Flecken auf dem Papier – feine Farbspuren in leuchtendem Smaragdgrün. Sie sahen aus wie Fingerabdrücke, und Zach starrte stirnrunzelnd darauf hinab und versuchte sich zu erinnern, wo er diese Farbe erst kürzlich gesehen hatte. Dann entdeckte er etwas, und ihm wurde eiskalt.
    »Ist alles in Ordnung, Mr. Gilchrist? Sie sind ja ganz blass geworden.« Annie Langtons Hand lag auf seinem Arm, doch ihre Stimme schien von weit her zu kommen. Zach hörte sie kaum, so laut rauschte ihm das Blut in den Ohren, und die Zeitungsblätter in seinen Händen begannen heftig zu zittern. In einer Ecke der Seite, ganz am Rand, war ein Daumenabdruck in genau demselben Smaragdgrün, mit dem die gedeckten Schafe in Hannahs Herde markiert waren. Der Abdruck eines Daumens, über den sich schräg eine scharfe Linie zog – eine Narbe, deutlich und

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