Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
verschlucken. »Zwillinge zum Schluss – zweimal sogar. Kein Wunder, dass diese Schafe nicht lammen wollten. Schwere Arbeit für sie.«
»Aber das ist gut, oder nicht? Zwei Lämmer zum Preis von einem?«
»Sozusagen. Aber man muss sie gut im Auge behalten. Eines ist immer größer als das andere, und das Kleinere entwickelt sich nie so gut und nimmt nicht so viel zu«, erklärte Hannah.
»Aber damit habt ihr das Lammen hinter euch, oder? Dann kannst du jetzt endlich wieder richtig schlafen«, sagte Zach. Hannah und Ilir wechselten einen raschen, beinahe verstohlenen Blick, ehe sie ihm zustimmten. Zach lächelte mit zusammengebissenen Zähnen und hob sein Glas. »Auf die neue Generation Portland-Schafe auf der Southern Farm«, sagte er.
»Auf jeden neuen Anfang«, fügte Hannah hinzu. Sie tran ken, und Zach blickte gerade rechtzeitig in Ilirs Richtung, um einen flüchtigen Ausdruck, beinahe panisch, über dessen Gesicht huschen zu sehen, als hätte ihn kurz Verzweiflung gepackt und ihn dann wieder losgelassen.
»Auf den neuen Anfang«, echote Ilir ernst. Hannah legte ihm kurz die Hand auf den Arm, und einer plötzlichen Ein gebung folgend fragte Zach:
»Bekommen Sie manchmal Heimweh, Ilir?« Der Rom blickte auf und musterte ihn eine Sekunde lang, ehe er antwortete.
»Ja, natürlich.« Er zuckte mit den Schultern. »Mal mehr, mal weniger. Wo man geboren ist, da ist immer die Heimat, auch wenn es einem dort nicht so gut geht.«
»Wie ist der Kosovo denn so? Ich war noch nie … Ich glaube, ich kenne nicht einmal jemanden, der schon dort war. Ist wohl noch nicht so vom Tourismus entdeckt worden«, erklärte er entschuldigend.
»Natürlich nicht. Lange Zeit haben die Leute nur wegen des Krieges davon gehört. Es ist ein junges Land mit einem sehr alten Herzen. Viel Schönheit gibt es dort, aber auch viel Not. Immer noch viele Probleme. Nicht genug Arbeit, nicht genug Geld, manchmal sogar zu wenig Strom für alle. Und die Leute kämpfen immer noch gegeneinander. Wir sollen jetzt ein Land sein, aber es fühlt sich nicht so an.«
»Sicher nicht leicht, dort zu leben«, sagte Zach.
»Schwer im Vergleich zu Dorset, ja. Und ich würde nicht wieder heimgehen wollen, das ist richtig. Aber ich habe viel zurücklassen müssen, um hierherzukommen. Viele sehr wert volle Dinge.« Einen Moment lang hing Ilirs Kummer beinahe greifbar über ihrem Tisch.
»Aber es war die richtige Entscheidung«, erklärte Hannah standhaft.
»Ja. Für mein Volk ist das Leben dort noch härter. Noch mehr Probleme, noch weniger Geld, noch weniger Arbeit. Die Roma sind nicht beliebt. England ist ein gutes Land. Hier kann man gut leben. Wenn ich die Nachrichten höre, glaube ich manchmal, ihr wisst gar nicht, wie gut das Leben hier ist.«
»Ja, da haben Sie wohl recht. Die Leute finden eben im mer etwas zu jammern. Das hat mein Vater jedenfalls gesagt, und er war ein wahrer Optimist. Aber inzwischen glaube ich, dass er damit vor allem meine Mutter gemeint hat. Er hat oft gesagt, wenn sie in den Himmel käme, würde sie die Erste sein, die Gott wissen lässt, dass seine Wolken zu weich seien.« Er lächelte schwach, und Ilir nickte.
»Ich glaube, Ihre Mutter und meine würden sich gut verstehen«, sagte er.
»Schluss jetzt, genug Jammer und Elend. Trinkt«, befahl Hannah und stieß mit ihnen an.
Viel später, als Ilir sich durch das Gedränge zur Bar vorarbeitete, beugte Zach sich vor, um Hannah zu küssen. Mit einer Hand umfing er ihren Hinterkopf für den Fall, dass sie zurückweichen würde. Das tat sie nicht, und er drückte die Stirn an ihre, schloss die Augen und genoss ihren Duft. Warm, erdig und buchstäblich animalisch. Das Bier und seine Müdigkeit machten ihn träge, sodass er kaum noch denken konnte. Als er sie losließ, lächelte sie verhalten.
»Was ist das hier, Hannah?«, fragte er.
»Was meinst du?«
»Ist das hier für dich nur Sex? Bin ich bloß – ein Urlaubs flirt?« Sie lehnte sich zurück und trank ein paar Schlucke Bier, ehe sie antwortete.
»Ich bin nicht im Urlaub«, erklärte sie.
»Du weißt schon, was ich meine. Was wird, wenn ich wie der wegfahre? War es das dann? Aus und vorbei?«
»Reist du denn ab?«, fragte sie. Die Frage traf ihn unvor bereitet, und ihm wurde bewusst, dass er noch gar nicht dar über nachgedacht hatte, ob er in Blacknowle fertig war oder wann es so weit sein würde.
»Tja, ich kann nicht ewig in einem Gästezimmer über einem Pub hausen, oder?«
»Ich weiß es ehrlich nicht, Zach«,
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