Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
auslässt«, bemerkte Zach vorsichtig. Wilf sah ihn mit verächtlicher Miene an.
»Sie hat Ihnen sicher schon mehr gesagt, als Sie mit Recht erwarten könnten, junger Mann. Geben Sie sich damit zufrieden, das rate ich Ihnen.«
»Sie verhalten sich sehr loyal gegenüber einer Frau, die Sie vor so langer Zeit kannten und seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben.«
»Wenn Sie meinen.«
»Beantworten Sie mir eine Frage, Mr. Coulson – bitte. Nur eine Frage: Ist Dimity Hatcher ein guter Mensch?« Sie blieben stehen, und Wilf wandte sich dem Meer zu, über dem sich eine dichte Wolkenbank gebildet hatte.
»An ihr haben sich andere genauso versündigt, wie sie selbst gesündigt hat, so war das mit Mitzy«, sagte er schließlich. »Das haben die Leute anscheinend nie begriffen, obwohl ich oft genug versucht habe, es ihnen zu erklären. Es war nicht ihre Schuld, wie es damals gekommen ist. Und ich hätte sie trotzdem geheiratet, auch nach alldem. Aber sie wollte nicht. In ihrem Herzen war nur Platz für einen Mann, und das war Charles Aubrey, ob er’s nun wert war oder nicht. Aber er hat sie nie so geliebt wie ich. Wie denn auch? Ich kannte dieses Mädchen bis auf die Knochen, wusste genau, woher sie kam. Aber sie wollte mich nicht. So, bitte. Mehr werde ich Ihnen nicht erzählen. Sie können sich die Mühe sparen, mir weitere Fragen zu stellen.«
»Verstanden«, sagte Zach. Wilf nickte knapp. »Aber lassen Sie sich bitte nicht davon abhalten, dass ich Sie hier ge sehen habe – falls Sie auf dem Weg zu ihr waren. Ich glaube, sie ist einsam da unten. Es ist nicht gut für einen Menschen, so viel allein zu sein.«
»Da haben Sie recht, aber sie will es so«, entgegnete Wilf traurig. »Ich habe versucht, bei ihr reinzuschauen; ist allerdings lange her. Und bin abgewiesen worden. Also, nein – ich glaube, jetzt ist auch nicht die rechte Zeit dafür.«
Schweigend gingen sie weiter bis zum Ende des Pfades, wo Wilf abbog und sich mit einem leichten Nicken ver abschiedete. Zach sah ihm nach, bis der alte Mann nur noch eine ferne, einsame Gestalt war, die sich dunkel vor der schmalen Straße abhob, gebeugt von der Last all ihrer Erinnerungen. Zach ging weiter zum Pub. Nach seiner Unterhaltung mit Dimity fühlte er sich verloren und unbehaglich. An der Tür zum Spout Lantern summte sein Handy. Überrascht holte er es aus der Hosentasche und sah einen einzelnen Balken in der Signalanzeige – eine Seltenheit. Die SMS war von Hannah, und ihr Name versetzte ihm einen Stich. Nachher im Pub? Lammen erledigt. Er drückte auf »Antworten« und zögerte dann. Die Aussicht, sie zu treffen, löste eine verwirrende Mischung von Gefühlen in ihm aus. Er hatte sie seit drei Tagen nicht mehr gesehen und vermisste sie, doch er konnte nicht ignorieren, was er erfahren hatte. Er war sicher, dass sie seine Fragen hartnäckig nicht beantworten und wütend werden würde, wenn er sie damit konfrontierte. Er sehnte sich danach, sie in den Armen zu halten, und wollte sie zugleich schütteln, bis endlich ein paar Antworten aus ihr herausfielen. Geht klar, antwortete er und beließ es erst einmal dabei.
An diesem Abend wurde es sehr früh dunkel. Ein schwerer Schleier finster dreinblickender Wolken legte sich über die Küste, und als Zach hinunter an die Bar ging, fielen gerade die ersten dicken Tropfen, genau wie Dimity vorhergesagt hatte. Zach war schon mit seinem ersten Bier fertig, als Hannah und Ilir kamen. Sie zogen die nassen, matschigen Stiefel aus, ließen sie an der Tür stehen und kamen in dicken Socken zu ihm herüber. Der Anblick von Hannahs kleinem, starkem Gesicht und ihre stets sorgsam beherrschte Miene weckten einen dumpfen Schmerz in ihm, der sich ein wenig wie Verzweiflung anfühlte. Doch da sie Ilir dabeihatte, kam es gar nicht infrage, jetzt Streit anzufangen.
Hannah holte allen etwas zu trinken und setzte sich lächelnd an den Tisch. Sie wirkte müde und zerstreut, aber äußerst wachsam zugleich. Da war diese unterschwellige Nervosität, die ihm schon manchmal an ihr aufgefallen war. Eine angespannte Pause entstand, bis Zach schließlich als Erster sprach.
»Und, wie steht’s? Irgendwelche Schwierigkeiten mit den Lämmern?«, erkundigte er sich. Die beiden schüttelten die Köpfe, und Zach glaubte zu sehen, wie Hannah sich ein klein wenig entspannte.
»Keine Schwierigkeiten«, sagte Ilir und fuhr sich mit bei den Händen durch das dichte, feuchte Haar. Sein dunkler Teint schien das schummrige Licht förmlich zu
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