Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
»Sie geben Ruhe und gehen nach Hause. Und zwar sofort.« Ilir fluchte in seiner eigenen Sprache vor sich hin, be freite sich von den Männern, die ihn festgehalten hatten, stapfte zur Tür und schnappte sich im Vorbeigehen seine Stiefel. »Du auch, Hannah. Ich finde, das reicht für heute.«
»Schön«, sagte Hannah. Sie warf Ed einen letzten, zornfunkelnden Blick zu.
»Tja, dann – gute Nacht allerseits«, sagte Zach und folgte ihr hinaus.
Ilir lief die Straße entlang, auf dem Mittelstreifen und in die falsche Richtung. Er schwankte leicht, denn er trug die Stiefel jeweils am falschen Fuß, sodass sie an den Knöcheln drückten.
»Ilir! Warte!« Unter dem Vordach des Pubs kämpfte Hannah mit ihren eigenen Stiefeln. Der Regen fiel in grauen Wellen. Ilir trug nichts auf dem Kopf, und im trüben Schein der Straßenlaternen glänzte sein nasses Haar. »Ilir!« Sie rannte ihm nach, holte ihn ein und hielt ihn sacht am Arm zurück. Zach sah zu, unsicher, was er tun sollte, und zog gegen die kalte Nachtluft die Schultern hoch. Er konnte Hannah mit dem Mann reden hören, aber nicht verstehen, was sie sagte. Dann beobachtete er überrascht, wie Ilir mitten auf der Straße auf die Knie fiel. »Zach!«, rief Hannah nach ihm. Fluchend rannte Zach hinaus in den Regen. Aus Ilirs rechtem Augenwinkel sickerte Blut, das sich mit dem Regen vermischte und sein Gesicht hinablief. Das Auge schwoll bereits zu.
»Himmel – muss das genäht werden?« Hannah hielt das Gesicht des Mannes fest und untersuchte es. Regen glänzte auf ihren Händen. Ilir schloss auch das andere Auge. Er keuchte und schluckte immer wieder krampfhaft.
»Nein, aber hilf mir, ihn hochzuhieven. Ed muss ihn härter getroffen haben, als ich dachte.« Sie packten Ilir bei den Armen und zerrten ihn auf die Füße, doch seine Schritte waren kraftlos, die Beine wie aus Gummi.
»Ich hole das Auto. Wartet hier.«
»Warte – wie betrunken bist du?«, fragte Hannah.
»Stocknüchtern nach dieser kleinen Nummer hier. Und ich müsste schon verdammt großes Pech haben, auf dem Weg von hier bis zum Hof in eine Alkoholkontrolle zu ge raten. Oder möchtest du lieber versuchen, ihn so nach Hause zu schleppen?«
»Hast recht, geh schon«, sagte sie, als Ilir sich wieder hinsetzte und wie in kläglichem Flehen die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Hannah hockte sich neben ihn, schlang die Arme um ihn und legte das Kinn auf sein damp fendes Haar. Eine so zärtliche Geste hatte Zach bei ihr noch nie gesehen, und trotz allem verspürte er einen Stich der Eifersucht.
Sie schafften es, Ilir auf den Rücksitz von Zachs Wagen zu manövrieren. Hannah stieg vorne ein, und Zach fuhr los. Durch die Regenschleier konnte er nur mit Mühe etwas erkennen, und er war froh, als sie von der Landstraße auf die Zufahrt zum Hof abbogen und kein Gegenverkehr mehr kommen konnte.
Er hielt so nah wie möglich am Haupthaus, aber sie wur den wieder durchweicht, als sie dem zitternden Ilir aus dem Auto halfen. Der Regen war unerbittlich. Gemeinsam schleppten Hannah und Zach ihn durch die Küche und hinauf zu seinem Zimmer, um Müllberge und kaputte Möbel herum. Als die Tür aufging, war es, als beträten sie ein anderes Haus. Ilirs Zimmer war makellos sauber und aufgeräumt. Das Bett war gemacht, Laken und Decke waren ordentlich umgeschlagen, die Vorhänge frisch gewaschen und zugezogen. Weder Kleidung noch Schuhe lagen auf dem Boden herum, auf einem Wandbord unter dem Spiegel stand eine Dose Deodorant, daneben lag ein Kamm. Der Teppich war ordentlich gesaugt. Hannah fing Zachs staunenden Blick auf.
»Ich weiß.« Sie warf die Hände in die Höhe und ließ sie wieder fallen. »Glaub mir, ich habe ihm oft genug gesagt, dass er sich gern auch das restliche Haus vornehmen kann. Aber er sagt, dass nur dieses Zimmer seines ist und ihn der Rest nichts angeht.«
»Das kann man ihm nicht verdenken.«
»Nein, so hat er es nicht gemeint. Er wollte damit rücksichtsvoll sein. Taktvoll.« Sie setzte sich neben Ilir auf die Bettkante und zog ihm die Decke über die Füße.
»Ich bin nicht tot. Rede nicht, als sei ich nicht da«, brummte Ilir. Hannah lächelte.
»Natürlich bist du da. Wir dachten, du wärst bewusstlos.« Vorsichtig richtete Ilir sich auf und betastete die Platzwunde an seinem Auge, die immer noch blutete.
»Ich werde gleich bewusstlos, wenn ich keinen Kaffee bekomme«, sagte er.
»Ich mache uns welchen«, erklärte Zach.
»Und ich hole Verbandszeug und versorge erst mal dieses
Weitere Kostenlose Bücher