Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
weiß es nicht. Ich weiß es nicht! «
»Schon gut, ist schon gut«, sagte Zach besänftigend. Dimitys Blick huschte durch den Raum, ihre Lippen formten lautlose Worte. Zach wartete einen Moment, ehe er fragte: »Wie hat Delphine den Tod ihrer Schwester verkraftet? Standen die beiden sich nahe?« Dimitys Blick blieb an ihm hängen, und ihre Augen schwammen in Tränen.
»Nahe?«, fragte sie heiser. »So nah, wie sich nur Schwestern sein können.«
Beide schwiegen eine Weile, und Zach rief sich Delphines Porträt ins Gedächtnis, das neben dem ihrer Mutter und dem von Mitzy an der Wand seiner Galerie hing. Er hatte eine von den dreien ausfindig gemacht, lebendig und noch bei Kräften, doch die beiden anderen verloren sich nach wie vor in der Vergangenheit, flüchtig wie Nebel. Er seufzte. Blacknowle erschien ihm auf einmal abgründig, fern und voller Geheimnisse. Er hätte die Rätsel dieses Ortes zu gern gelöst, doch es war nicht richtig, deshalb einer alten Dame so zuzusetzen.
»Sie kennen Hannah schon lange, nicht wahr?«, fragte er vorsichtig.
»Hannah?« Dimity neigte den Kopf zur Seite, und dann lächelte sie auf einmal, wissend und beinahe frech. »Ich habe euch beide zusammen gesehen. Unten am Strand und auf dem Hof«, sagte sie. Zach spürte, wie sein Lächeln an den Rändern gefror.
»Ich mag sie. Das heißt … Ich glaubte sie ein wenig zu kennen, aber …« Er zuckte mit einer Schulter und überlegte, wie viel er sagen, fragen sollte – wenn überhaupt. Aber die Sache lastete zu schwer auf ihm, und er musste mit jemandem sprechen.
»Ich kenne sie von klein auf. Nicht besonders gut, wir sind keine richtigen Freundinnen … aber Nachbarinnen. Sie ist eine gute Nachbarin. Ein braves Mädchen.«
»Ach ja?«
»Ja. Warum? Was hat sie Ihnen gesagt?« Dimity klang auf einmal besorgt.
»Was sie mir gesagt hat? Nichts – das ist ja das Problem. Ich habe herausgefunden … Ich habe herausgefunden, dass sie mich belogen hat. In einer sehr wichtigen Sache.«
»Belogen? Nein. Das kenne ich von ihr nicht.«
»Tja, hat sie aber. Glauben Sie mir«, bekräftigte Zach kläglich.
»Etwas nicht zu sagen ist nicht dasselbe wie lügen, oder? Ganz und gar nicht dasselbe«, sagte Dimity drängend.
»Ich habe herausgefunden, dass … Erinnern Sie sich an Charles’ Zeichnungen von einem jungen Mann namens Dennis, die ich Ihnen gezeigt habe?« Dimity kniff die Lippen zusammen und nickte krampfhaft. »Tja, ich bin dahintergekommen, dass Hannah diejenige ist, die sie verkauft hat. Dass Hannah sie … besitzt. Oder produziert«, brummte er. »Oder als Hehlerin auf den Markt bringt«, fügte er hinzu und rieb sich die müden Augen mit Daumen und Zeigefinger, bis er Pünktchen sah. »Sie wusste von Anfang an, dass ich versuche, etwas über diese Bilder herauszufinden – das wusste sie die ganze Zeit. Ich muss mich angehört haben wie der letzte Idiot mit meinen Spekulationen …«
Erst ein paar Augenblicke später merkte er, dass Dimity noch immer schwieg. Er hatte erwartet, dass sie ihre Nachbarin in Schutz nehmen oder aber empört reagieren würde, weil Werke von Aubrey heimlich verkauft wurden, praktisch direkt vor ihrer Nase. Er blickte auf und runzelte die Stirn. Dimity saß vollkommen still, ihr Gesicht eine leere Maske, der Mund immer noch fest geschlossen. »Dimity? Ist alles in Ordnung?«, fragte Zach.
»Ja.« Sie zwang das Wort zwischen widerstrebenden Lip pen hervor. Zach holte tief Luft.
»Dimity, haben Sie … haben Sie davon gewusst?«
»Nein! Und Sie irren sich bestimmt. Hannah ist ein nettes Mädchen. Sie würde nie etwas Böses tun oder gegen das Gesetz verstoßen. Niemals. Ich kenne sie von klein auf … Ich kannte ihre Familie schon lange, ehe einer von euch beiden überhaupt auf der Welt war!«
»Tja, tut mir leid, aber sie hat sie verkauft. Und da sie das in aller Heimlichkeit tut, ist ihr offenbar klar, dass sie es über haupt nicht tun dürfte, anders kann ich mir das nicht erklä ren. Ich wusste gleich, dass irgendetwas mit diesen Zeichnun gen nicht stimmt. Jetzt weiß ich wenigstens, wen ich fragen kann.« Er unterbrach sich und blickte wieder zu Dimity auf, doch die saß ihm nur mit einem hilflosen Gesichtsausdruck gegenüber, als könnte sie ihm nicht weiterhelfen. »Ich muss jetzt gehen«, sagte er und stand auf. Dimity erhob sich eben falls, und im selben Moment waren von oben ein Rascheln und dann ein dumpfes Geräusch zu hören, als sei eine Zeitung auf harten Boden gefallen. Dimity
Weitere Kostenlose Bücher