Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
heutzutage nicht mehr von Zigarettenrauch verschleiert wurde. Ein älteres Paar aß fish and chips an einem kleinen Tisch neben dem offenen Kamin, der allerdings leer und sauber ausgefegt war. Ihr Hund, ein braun-weißer Whippet, beobachtete Zach mit melancholischem Blick, als er zur Bar ging und Bier und Schinkensandwiches bestellte. Der Barkeeper war freundlich und redselig. Er sprach zu laut in den stillen Raum, und der Whippet zuckte zusammen.
Ein paar weitere Gäste waren über die Tische weiter hinten verteilt, aßen zu Mittag und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Zach fühlte sich auf einmal unbehaglich bei der Vorstellung, allein an einem Tisch zu sitzen, also blieb er an der Bar, rutschte auf einen Barhocker und schälte sich aus seinem Pulli.
»Sieht kalt aus, ist es aber nicht, oder? Komischer Tag heute«, bemerkte der Wirt fröhlich, reichte Zach sein Bier und nahm das Geld dafür entgegen.
»Sie ahnen gar nicht, wie recht Sie haben«, stimmte Zach zu. Der Wirt lächelte neugierig. Seine Aussprache klang nach Londoner Umland, was nicht recht zu seiner rustikalen Aufmachung passte – er trug ein verwaschenes Flanellhemd und eine Hose aus Segeltuch, die an den Taschen und am Bund ausgefranst war. Er musste um die fünfzig sein, und seine schulterlangen grauen Locken bildeten einen brei ten Kranz um seine Glatze herum.
»Und, was führt Sie nach Blacknowle? Urlaub? Oder suchen Sie nach einem Ferienhaus?«
»Nein, nein. Nichts dergleichen. Ich will hier – etwas recherchieren.« Auf einmal war ihm nicht ganz wohl dabei, seine Absicht anderen gegenüber auszusprechen, als würde er sich dann anders verhalten müssen. Nämlich so, als wüsste er wirklich, was er tat. »Es geht um einen Künstler, der hier in der Nähe gewohnt hat«, fuhr er fort. Im Spiegel hinter der Bar sah er, wie das ältere Ehepaar am Kamin bei seinen Worten innehielt. Sie hörten auf, im Essen auf ihren Tellern herumzustochern, hörten auf zu kauen. Wechselten einen Blick, den Zach nicht deuten konnte, aber er kribbelte ihm im Nacken. Der Barkeeper warf ebenfalls einen Blick in Richtung der beiden, doch er wandte sich hastig wieder Zach zu und lächelte.
»Charles Aubrey, würde ich wetten.«
»Ja – Sie haben also von ihm gehört«, sagte Zach. Der Wirt zuckte freundlich mit den Schultern.
»Natürlich. Lokale Berühmtheit, könnte man sagen. Er war oft hier im Pub, früher, vor dem Krieg. Nicht, dass ich da schon hier gewesen wäre, aber so hat man es mir erzählt. Dort drüben hängt ein Foto von ihm – hier vor diesem Pub, mit einem Bier in der Hand.«
Zach stellte sein Glas ab und ging zur Wand gegenüber, wo das Foto in einem Rahmen mit fleckigem Passepartout und einigen winzigen toten Insekten hing. Das Bild war ver größert worden und ziemlich körnig. Zach hatte es schon einmal gesehen; es war in einer alten Biografie des Künstlers abgedruckt. Bei dem Gedanken, dass er in demselben Pub stand, den Charles Aubrey früher besucht hatte, ver spürte er ein aufgeregtes Kribbeln. Zach betrachtete das Bild genauer. Die Abendsonne beleuchtete Aubreys Gesicht von der Seite. Er war ein großer Mann, hager und kantig. Er saß auf einer Holzbank und hatte die Beine übereinander geschlagen und eine Hand um das obere Knie gelegt. In der anderen hielt er ein Glas Bier. Die Augen waren gegen die Sonne leicht zugekniffen, das Gesicht ein wenig davon abgewandt, sodass seine knochige Nase, die hohen Wan genknochen und die breite Stirn plastisch hervortraten. Sein Kiefer war hart, kantig. Die Sonne fing sich in den Wellen seines kräftigen dunklen Haars. Das Gesicht war nicht klassisch schön, aber markant. Sein Blick, direkt in die Kamera, war fest und durchdringend, seine Stimmung unmöglich darin abzulesen. Das war ein Gesicht, das man unwillkürlich intensiver betrachten musste – fesselnd, vielleicht ein wenig beunruhigend, als könnte es im Zorn furchterregend werden, sein Lachen hingegen ansteckend. Zach konnte nicht erkennen, was genau Frauen so an Aubrey fasziniert hatte, doch die machtvolle, seltsame Anziehungskraft des Mannes spürte selbst er. Das Bild war 1939 aufgenommen – in dem Sommer, in dem seine Großeltern den Künstler kennengelernt hatten. Später in jenem Jahr würde der Krieg ausbrechen. Und noch im selben Jahr würde Charles Aubrey, von Trauer und Kummer erfüllt, sich dem Royal Hampshire Regiment anschließen, das mit dem britischen Expeditionskorps zum europäischen Festland ausrücken würde,
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