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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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gekochten Eiern und grünem Salat bestanden hatte. Zwei der Hennen kamen in die Mauser. Sie sahen zerrupft und armselig aus, und wenn sie keine Eier unter ihnen fand, raunte sie ihnen etwas zu. Legt, ihr Mädchen, legt. Gibt es keine Eier, so kommt ihr in den Topf. Wenn man das Sprüchlein oft wiederholte, klang es wie ein Zauber, und bald war die Stimme, die sie hörte, die ihrer Mutter, nicht mehr ihre eigene. Seit ihrem Wachtraum musste sie immer wieder an Valentina denken – seit ihrer Vision, ihrer Vorahnung. Ihre Mutter war schon lange fort. Vielleicht für immer, hatte sie geglaubt, und darüber war sie nicht traurig gewesen, abgesehen davon, dass die Stille sich manchmal endlos dehnte. Doch in letzter Zeit hatte sie ihre Mutter dabei ertappt, wie sie sie durch die quarzgelben Augen der roten Katze beob achtete. Sie sah Valentina in den Kringeln einer Apfel schale, als winzig kleine, auf dem Kopf stehende Spiegelung in dem dicken Wassertropfen, der immer am Hahn über der Spüle hing. Nachdem sie Celeste gesehen und ihre Vorahnung gehabt hatte, nach jener Sturmnacht, hatte sie den alten Schutzzauber auf der Kaminplatte gefunden. Der Wind hatte ihn nach fast achtzig Jahren aus dem Schornstein gefegt – ein verschrumpeltes Klümpchen aus altem Fleisch, etwa so groß wie ein Ei. Die Nadeln waren verrostet, ein paar fehlten. Und dann hatten die Träume angefangen. So war Valentina hereingekommen, und das war verwunderlich, denn der Zauber sollte nur böse Geister fernhalten. Vielleicht doch nicht so verwunderlich.
    Sie würde einen neuen Zauber herstellen müssen, und zwar bald. Wo sollte sie ein Ochsenherz hernehmen, frisch, nicht älter als einen Tag? Und neue Nadeln, sauber und spitz? Doch jeden Tag ohne den Zauber war das Haus für Eindringlinge zugänglich – als stünde die Tür weit offen, vor allem, wenn sie schlief. Sie zwang sich, ganz aus ihrem Dämmerzustand aufzuwachen, und erhaschte einen kurzen Blick auf hellblondes Haar, das sich in einer Fensterscheibe spiegelte. Stumpfes, blondes Haar mit tiefschwarzen Wurzeln, und als sie blinzelte, war es verschwunden.
    »Guten Tag, Ma«, murmelte sie der Höflichkeit halber. Nur zur Sicherheit. Vorsichtig richtete sie sich auf und streckte langsam den Rücken. Das Licht draußen war noch grau, aber hell genug, um sie zu blenden. So viel musste getan werden, bis es dunkel wurde. All die Tiere mussten versorgt, etwas zu essen aufgetrieben und ein neuer Schutzzauber für den Kamin angefertigt werden. Einen richtigen konnte sie noch nicht machen, aber die Zeit bis dahin musste sie irgendwie überbrücken – ein Nixentäschchen wäre ein guter Anfang. Aber hinunter an den Strand, um nach Rochen-Eikapseln zu suchen? Sie ging kaum mehr dorthin, weil sie unsicher auf den Beinen war und nicht gesehen werden wollte. Aber vielleicht war noch eine da, irgendwo im Haus. Sie beschloss, danach zu suchen, weil Valentinas Rückkehr so beunruhigend war. Beunruhigend war auch der Gedanke, ihre Mutter könnte merken, dass sie nach einem Nixentäschchen suchte, und dessen Zweck erraten. Die Vergeltung würde fürchterlich sein.
    Sie wandte sich vom Fenster ab, doch dabei sprang ihr wieder etwas ins Auge. Nicht Valentina, keine Vision. Eine Person . Ein Mann. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Er war jung, groß und schlank. Sie wagte es kaum zu glauben, doch das könnte … Aber nein. Nicht groß genug, die Schultern zu breit. Das Haar zu hell und zu kurz. Nein, natürlich nicht. Sie schüttelte den Kopf. Ein Wanderer, mehr nicht. An ihrem Häuschen kamen nicht viele vorbei, weil der Pfad kein Wanderweg war – er hatte hier also nichts verloren. Das war Privatgrund, ihr Land, und jenseits des Cottages würde er nicht weiterkommen. Sie beobachtete ihn. Er betrachtete The Watch aufmerksam und verlangsamte seine Schritte. Seltsam. Wenn er ganz unten ankam, würde er umkehren und wieder hinaufgehen müssen. War er einer von denen, die durch ihre Fenster spähten? Vor zwanzig Jahren war hier nie jemand vorbeigekommen, aber heutzutage passierte es öfter. Sie mochte diese Eindringlinge nicht. Und der hier ging auch nicht vorbei. Der hier kam bis an ihre Tür. Er hatte nichts in den Händen, er trug keine Uniform, keine Dienstmarke. Sie konnte sich nicht erklären, was er wollte. Ihr sträubten sich die Härchen an den Armen. Das war er also. Das war derjenige, den sie hatte kommen sehen. Valentina tollte in dem schräg einfallenden Lichtstrahl neben der Teekanne herum, doch ob das

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