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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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würde sich darüber freuen. Hören Sie zu.« Er kramte kurz in seinen Notizen, bis er die Seite fand, die er suchte. Sie war mit einem pinkfarbenen Klebezettel markiert. »Diesen Brief hat er an einen seiner Mäzene geschrieben, Sir Henry Ides. Mir ist hier in Dorset ein ganz wunderbares Kind begegnet. Sie scheint halb wild aufgewachsen zu sein und hat dieses Dorf in ihrem jungen Leben noch nie verlassen. Ihr gesamtes Weltbild besteht aus dem Ort und der Küste in einem Umkreis von fünf Meilen um das Häuschen, in dem sie groß geworden ist. Sie ist unberührt, in jeder Hinsicht, und strahlt eine Unschuld aus, die sie umgibt wie ein Leuchten. Wahrhaft ein seltener Fund und wohl das Bezauberndste, was ich je gesehen habe. Sie zieht den Blick auf sich, wie es eine prächtige Aussicht vermag oder ein einzelner Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. Ich lege eine Skizze bei. Ich plane ein großes Leinwandgemälde mit diesem Mädchen, das die Essenz der Natur verkörpern wird, oder auch den innersten Kern des englischen Landvolks. « Zach blickte auf, und Hannah zog eine Augenbraue in die Höhe.
    »Ich glaube, das sollten Sie Dimity lieber nicht zeigen.«
    »Warum nicht?«
    »Sie wäre bestürzt darüber. Sie hat ihre eigenen Erinnerungen und – Vorstellungen von dem, was zwischen ihr und Charles war. Ich glaube nicht, dass sie sich über diese objektive Beschreibung freuen würde.«
    »Aber … Er hat doch geschrieben, sie sei das Bezauberndste, was er je gesehen hat.«
    »Das ist aber nicht dasselbe wie ›Ich liebe sie‹, oder?«
    »Sie glauben also nicht, dass er sie geliebt hat?«
    »Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Vielleicht war er verliebt. Ich sage ja nur, dass er in diesem Brief etwas anderes ausdrückt. Oder nicht? Ich würde ihr das nicht zeigen, aber die Entscheidung liegt natürlich ganz bei Ihnen«, erklärte sie.
    »Ich finde schon, dass seine Worte Liebe ausdrücken. Aber vielleicht nicht die Art von Liebe … Dimity hat seine – künstlerische Leidenschaft entfacht. Sie war seine Muse, zumindest für eine Weile. Recht lange sogar. Aber dieser Dennis … Aubrey hat ihn nirgendwo erwähnt. Und als ich Dimity eine der Zeichnungen von ihm gezeigt habe, hat sie behauptet, sie hätte ihn noch nie gesehen und wüsste nicht, wer er ist. Das kommt mir einfach sehr – merkwürdig vor.«
    »Aubrey war doch in dem Jahr nur für zwei oder drei Monate hier. Dieser junge Mann könnte ihm irgendwann in den restlichen zehn Monaten begegnet sein, irgendwo anders …« Sie verstummte, als Zach den Kopf schüttelte.
    »Sehen Sie sich die Datierungen an. Juli 1937 und dann Februar und August 1939. Wir wissen, dass Aubrey im Juli 1937 hier war, im Februar 1939 in London, und im August 1939 war er hier und in Marokko. Hat dieser Dennis ihn also auf seinen Reisen begleitet? Von Blacknowle aus oder von London? Wenn Aubrey ihn gut genug kannte, um ihn mitzunehmen, müsste er doch irgendwo erwähnt sein? Aber das ist nicht das Einzige, was mir merkwürdig erscheint. Diese drei Bilder stammen alle aus einer anonymen Sammlung in Dorset. Immer derselbe Verkäufer. Aber ich habe Zweifel, ob sie tatsächlich von Charles Aubrey sind. Irgendetwas stimmt daran nicht.« Er schob Hannah die Kataloge hin, doch sie warf kaum einen Blick auf die Bilder. Zwischen ihren Brauen hatte sich eine kleine Falte gebildet. Sie schob die Kataloge von sich weg.
    »Ist das denn wirklich so wichtig?«, fragte sie.
    »Ob das wichtig ist?«, echote Zach lauter, als er beabsichtigt hatte. Ihm wurde bewusst, dass er tatsächlich ziemlich betrunken war. »Natürlich ist das wichtig«, sagte er leiser. »Müsste Dimity nicht mehr wissen? Sollte sie nicht wissen, wer dieser Dennis ist, wenn Aubrey die Bilder hier in Blacknowle gezeichnet hätte? Sie sagt, sie hätte so viel Zeit mit ihm und seiner Familie verbracht, wie sie nur konnte …«
    »Aber das bedeutet nicht, dass sie immer bei ihnen war oder dass sie über alles Bescheid wusste, was er tat. Sie war damals noch ein Kind, vergessen Sie das nicht.«
    »Ja, aber …«
    »Und wenn Sie nicht glauben, dass diese Bilder von Charles Aubrey stammen – von wem dann? Halten Sie sie für Fälschungen?«, fragte sie beiläufig.
    »Wäre möglich. Aber andererseits … Die Schraffuren, das zeichnerische Können …« Ratlos verstummte er. Hannah schien angestrengt nachzudenken und tippte mit den Fingerspitzen auf einem der Kataloge herum – ein Stakkato, das ganz kurz, nur ein paar Sekunden lang,

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