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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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konnte außergewöhnlich gut backen. Dimity glaubte, dass es an der Wut lag, mit der sie den Teig knetete. Sie waren beide müde, und ihre Haut wurde fahl und spröde. Wenn Dimity im eisigen Wind den Leuten in Blacknowle Erkältungsmittel gebracht hatte, kam sie mit gesprungenen Lippen und roten Händen nach Hause, die zu Klauen verkrampft waren.
    Während dieser kältestarren Tage blieb Valentina im Bett, matt und teilnahmslos. Eines Abends klopfte es noch spät an der Tür, doch sie wollte nicht herunterkommen. Schließ lich öffnete Dimity die Tür einen Spalt weit und spähte nach draußen, weil der Mann einfach nicht gehen wollte. Sie kannte ihn nicht. Sein Gesicht war dunkel, narbig und faltig, mit derben Bartstoppeln auf den Wangen. Seine Augen waren grau und wässrig.
    Als Dimity ihm sagte, dass Valentina keine Besucher empfange, erwiderte er mit heiserer, näselnder Stimme: »Und was ist mit dir? Du tust es auch. Man hat mir gesagt, hier würde ich finden, was ich suche.« Sie starrte ihn an, reglos vor Entsetzen.
    »Nein, bedaure. Nicht heute Nacht«, sagte sie leise. Doch er stemmte sich gegen die Tür, packte sie um die Taille und presste sich an sie, sodass sie mit dem Rücken schmerzhaft gegen den Türrahmen gequetscht wurde. Dann ließ er eine Hand sinken und rieb sie grob zwischen ihren Beinen vor und zurück.
    »Nicht heute Nacht, sagt sie, die dreckige, aufreizende kleine Hure … Komm schon, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, krächzte er ihr keuchend ins Gesicht, und Dimity schrie auf vor Angst und Schreck. Sein Atem stank nach Fisch und Bier.
    »Ma!«, schrie sie panisch. »Ma!« Und obwohl sie kaum auf Hilfe gehofft hatte, erschien plötzlich Valentina auf der Treppe. Ihr Gesicht war vom Schlaf verquollen, doch aus ihren Augen loderte eine solche Wut, dass der Mann Dimity sofort losließ. Er wich bereits zurück, als sie über ihn herfiel und ihn mit Fausthieben und Flüchen traktierte, die einen Matrosen schockiert hätten. Der Fremde hastete den Pfad entlang davon und brummelte dabei zornig vor sich hin.
    Danach legten sie sich zusammen wieder hin, in Valentinas Bett. Dimity durfte das Zimmer ihrer Mutter mit den verschleierten Lampen und der bestickten rosa Tagesdecke normalerweise nicht betreten, doch in dieser Nacht gingen sie gemeinsam zu Bett, und Valentina drückte ihre Tochter fest an sich. Sie strich ihr nicht über den Kopf oder sang ihr etwas vor oder sprach mit ihr. Doch als sie sah, dass Dimitys Hände zitterten, nahm sie eine ganz fest in ihre eigene Hand und ließ sie auch dann nicht wieder los, als sie selbst einschlief. Ihre Handfläche war zäh und glatt wie Leder. Dimity lag stundenlang wach, ihr Herz pochte noch vor Schreck über die Grobheit des Mannes und vor Unsicherheit in Valentinas ungewohnter Umarmung. Aber sie genoss die Wärme, die sich zwischen ihren Körpern hielt, und das Gefühl der Geborgenheit, obwohl es mit der nervösen Gewissheit einherging, dass es jeden Augenblick mit alledem vorbei sein konnte. Und so kam es auch, aber erst am Morgen. Valentina weckte sie abrupt mit einem harten Klaps auf den Oberschenkel. Raus aus meinem Bett, du unnützer Trampel. Geh und mach Frühstück.
    Dann, an einem herrlichen Tag Mitte April, wehte der Frühling vom Meer herein. Die warme Brise roch so lieblich wie reife Erdbeeren und brachte eine solch himmlische Erleichterung, dass Dimity vor Freude laut lachte. Sie stand allein auf dem Klippenpfad, auf dem Heimweg von Lulworth mit einer Tasche voller Sprotten und einer Flasche Apfeles sig, in der sie sie später kochen würde. Das Meer schimmerte vor Leben, und das Land schien gerade aus seinem tiefen Winterschlaf zu erwachen. Dimity glaubte den Saft in Bäu men und Gräsern aufsteigen zu hören, ein Zischeln, als holte alles tief Luft und hielte sie an, bereit, die ganze Pracht später im Sommer zu entfalten. Auch in den Männern von Blacknowle und den umliegenden Höfen stiegen die Säfte auf und drängten sie, an die Tür von The Watch zu klopfen, sodass dessen Bewohnerinnen plötzlich von Fülle umgeben waren. Doch weder nach gutem Essen noch nach der Wärme hatte Dimity sich am meisten gesehnt. Nicht einmal der angenehmste Sonnenschein konnte das Loch in der Welt füllen, das die Aubreys bei ihrer Abreise hinterlassen hatten. Dimity sehnte sich so nach dem Sommer, weil sie ihre Rückkehr ersehnte. Sie sehnte sich nach dem fröhlichen Geschwätz und ihrer Zuneigung, nach ihrer Liebe zueinander, die sie um sich

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