Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
ich sie erst abwische. War ihr egal.«
»Ein Jammer, dass sie keine Freundinnen sind. Oder sich wenigstens hin und wieder treffen und sich gegenseitig ein paar scheuern statt uns.«
»Was glaubst du, wer gewinnen würde?«, fragte Dimity, drehte sich auf die Seite und lächelte.
»Meine Ma scheut nicht davor zurück, auch den Stock zu nehmen, wenn es sein muss. Du hättest mal Brians Hinterteil sehen sollen, als sie ihn dabei erwischt hatte, wie er sich aus ihrer Geldbörse bedient hat!«
»Valentina würde alles benutzen, was sie in die Finger kriegt«, sagte Dimity. Sie wurde ernst, denn das Bild der beiden Frauen, die miteinander kämpften, gefiel ihr jetzt gar nicht mehr. »Ich glaube wirklich, dass sie einen Menschen umbringen würde, wenn der bei ihr den falschen Moment erwischt.« Wilf lachte und bewarf sie mit einer Handvoll Heu, das Dimity ärgerlich beiseitefegte. »Das ist mein Ernst! Würde sie.«
»Wenn sie je Hand an dich legt, würde ich sie mir vorknöpfen. Doch – wirklich!«, beharrte Wilf, und diesmal war es Dimity, die lachte.
»Würdest du nicht, denn sie legt Hand an mich, und zwar regelmäßig, wie du sehr wohl weißt. Aber das werfe ich dir nicht vor, Wilf Coulson. Wenn ich einen schönen, weiten Bogen um sie steuern könnte, würde ich es tun. Und das werde ich, sobald ich alt genug bin.« Sie rollte sich auf den Rücken, hob einen Halm vor sich hoch und verknotete ihn vorsichtig, ohne ihn zu brechen.
»Du könntest doch heiraten, Mitzy, um von ihr weg zu kommen. Sogar schon bald. Dann müsstest du nie wie der dahin zurück, wenn du nicht willst.« Wilf bemühte sich so sehr, seine Worte beiläufig klingen zu lassen, dass seine Stimme vor Anstrengung zitterte.
»Heiraten? Vielleicht.« Abrupt zog Dimity den Knoten fest zu, zerbrach den Halm und warf ihn beiseite. Auf einmal breitete sich die Zukunft vor ihr aus wie ein langer, rollender Donnerschlag, der sie zu ersticken drohte. Ihr Magen verkrampfte sich, und sie erkannte, dass sie Angst hatte. Entsetzliche Angst. Sie schluckte, fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. »Kommt darauf an, ob mir jemand begegnet, der das Heiraten wert ist, oder?«, entgegnete sie leichthin. Eine lange Pause entstand. Wilf spielte am Bund seiner Hose und dem Saum seines Hemdes herum, das mit dem Pullover aus der Hose gerutscht war.
»Ich würde dich heiraten«, murmelte er. Die Worte waren so leise, dass der Regen sie beinahe verschluckte.
»Wie bitte?«
»Ich habe gesagt, ich würde dich heiraten. Wenn du willst. Ma würde sich schon damit abfinden, wenn sie dich erst besser kennt. Wenn du nicht mehr in The Watch wohnen würdest.«
»Halt den Mund, Wilf – red nicht so dummes Zeug«, sagte Dimity, um ihre Verwirrung zu überspielen. Es war besser, darüber zu lachen, es gar nicht ernst zu nehmen, für den Fall, dass er sie nur hereinlegen wollte. Sie glaubte zwar nicht, dass Wilf sie auf diese Art verhöhnen würde, aber ganz sicher war sie nicht. Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie froh über das Prasseln von oben war.
»Das ist kein dummes Zeug«, nuschelte Wilf, der immer noch seine Kleidung und seine Hände untersuchte und dann quer durch die Scheune starrte, als stünden auf der mit Dung verschmierten gegenüberliegenden Wand ungeheuer wichtige Weisheiten geschrieben. Eine Zeit lang sagte keiner von beiden etwas, und sie konnten die Gedanken des anderen auch nicht erraten. Schließlich lullten die Wärme und das Rauschen des Regens Dimity ein. Als sie einige Zeit später aus ihrem Halbschlaf erwachte, ruhte Wilfs Kopf an ihrer Schulter, und seine Hand lag leicht auf ihrem Bauch. Seine Augen waren geschlossen, doch irgendwie spürte sie, dass er nicht schlief.
Jener Winter war lang. Bitterkalter Nordwind trieb noch spät Schnee heran und zerstörte die ersten grünen Knos pen, die sich hervorgewagt hatten. Dimitys Frostbeulen wurden so schlimm, dass sie es kaum noch aushielt. Schaudernd vor Ekel musste sie dasitzen, die Füße in einer Schüssel voll Pisse, um sie zu kurieren. Sie hatte ständig stechende Schmerzen in den Ohren von der eiskalten Luft. Es kamen kaum noch Besucher bis auf die beiden Männer, die Valentina als Brot und Butter bezeichnete, also bekamen sie weniger Essen oder Geld. Keine Modellhonorare für Dimity mehr, und viel weniger, was sie draußen sammeln konnte. Sie brieten Eier in altem Fett, so oft benutzt, dass es bitter und verbrannt schmeckte, und aßen sie mit Valentinas selbst gebacke nem Brot – sie
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