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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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silbrig weiß und leicht erhaben. »Wovon stammt die? Muss ein tiefer Schnitt gewesen sein«, bemerkte er.
    »Das war …« Hannah verstummte und runzelte leicht die Brauen. Sie entzog ihm ihre Hand und legte sie vor ihr Gesicht. »Das ist in der Nacht passiert, in der Toby gestorben ist. Ich habe mir den Daumen in der Autotür eingeklemmt. So schlimm, dass er beinahe gespalten war. Aber ich habe es erst am nächsten Tag gemerkt, als mich jemand darauf hingewiesen hat. Er war völlig taub. Wie der Rest von mir.«
    »Himmel. Du armes Ding.«
    »Ich?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht diejenige, die ertrunken ist.«
    »Hannah, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht …«
    »Nein, nein, schon gut, Zach. Ich will sogar über ihn reden. Ich weiß, dass sich das seltsam anhört, vielleicht zu seltsam für dich. Aber ich habe schon ewig nicht mehr von ihm gesprochen. Du willst wahrscheinlich lieber nichts von ihm hören. Von jener Nacht.« Sie richtete den ruhigen Blick auf ihn. Ihre Augen lagen im Schatten und wirkten dunkel und undurchschaubar.
    »Erzähl es mir«, bat er. Hannah holte langsam und tief Luft.
    Eine Nacht voll tosendem Wind und prasselndem Regen. Eine Nacht, in der der Himmel Eiskristalle herabspie, die einem in Lippen und Augen stachen, und die einem die Luft aus der Lunge sog, ehe man sprechen oder atmen konnte. Eine Nacht so schwarz, dass jegliches Licht eher blendete als den Weg erhellte. Wetter, das jede Ritze im Dach und jeden Saum in der Kleidung fand, jeden losen Ziegel und Spalt, jede Schwachstelle. Toby war ehrenamtlicher Seenotretter, obwohl er in Kensal Green in London aufgewachsen war. Aber er hatte schon als Kind diesen Traum gehabt, schäumende Wogen zu bezwingen und Menschen, die darauf warteten, von der See verschlungen zu werden, als rettender Engel in der Not zu erscheinen. Also lebte er diesen Traum aus, drei Jahre schon, seit er den Lehrgang absolviert hatte. Er genoss es – er genoss es, anderen zu helfen, liebte den Adrenalinrausch und das Gefühl, so dringend gebraucht zu werden. Also grinste er ihr in jener Nacht, seiner letzten, von der Schlafzimmertür her noch einmal zu, ehe er ging. Schläfrig zog Hannah sich an und folgte ihm. Sie lief hinab zum Strand, wo das Wasser zornig um die Felsen tobte, weil sein Grinsen zu aufgeregt gewesen war, zu freudig, und weil sie an ein wachsames Schicksal glaubte, das mit Vorliebe jene bestrafte, die sich allzu leichtfertig in Gefahr begaben.
    Von ihrem Standpunkt aus konnte sie nichts sehen. Das Boot, das in Seenot geraten war, eine Luxusjacht auf dem Rückweg von St. Ives, befand sich fünf Meilen vor der Küste und weiter westlich, jenseits von Lulworth. Sie holte den Jeep, fuhr in waghalsiger Hast zu jener Bucht, klemmte sich die Hand in der Tür ein und spürte nichts. Von dem Klippenpfad über der Lulworth Cove aus konnte sie kein bisschen mehr sehen, und dennoch wartete sie, während der Sturm ihr in die schmerzenden Ohren brüllte und die Gischt ihr ins Gesicht peitschte, bis ihr ganzer Körper taub geworden war. Ob vor Angst oder vor Kälte, hätte sie nicht sagen können. Schließlich war sie so durchgefroren, dass sie fürchtete, ihr Herz könnte erstarren. Sie fuhr zum Hof zurück und wartete in der Küche. Wartete auf die Nachricht, die kommen musste. Die Nacht zog sich in die Länge, und ein Knoten aus Grauen bildete sich in ihr, hart und schwer. Sie griff zum Telefon, doch der Sturm hatte die Leitungen lahmgelegt. Ihr Handy hatte kein Netz. Dennoch begann sie schon zu trauern, ehe man ihr sagte, was passiert war, denn sie wusste bereits, dass sie ihn verloren hatte. An der Jacht hatte sich eine Leine gelöst, die durch die Dunkelheit peitschte und ihn hart am Kopf traf. Er war über Bord gegangen und zwischen den hohen Walzen aus schwarzem Wasser verschwunden, ehe irgendjemand etwas tun konnte. Und dann war er fort. Verschlungen von den zehn Meter hohen Kämmen der Wellen und dem Sog der Täler, in Wasser so schwarz und hart wie Schiefer, das sich unerbittlich über ihm schloss.
    »Das Paar auf der Jacht konnte gerettet werden, durchge froren und verängstigt, aber ansonsten unversehrt. Aber Toby war weg. Genau das hat Gareth, sein bester Freund bei der Wasserwacht, mir gesagt. Er war einfach weg.«
    »Hat man ihn je gefunden?«
    »Ja.« Sie schluckte. »Etwa eine Woche später, gut zwölf Meilen weiter abwärts. Jedenfalls das, was von ihm übrig war.«
    »Er muss sehr mutig gewesen sein, da hinauszufahren und so etwas

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