Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
seltsame, nagende Gefühl, dass er sie kannte, sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Alles an ihr kam ihm so eigenartig vertraut vor, sogar ihre Haltung, der versunkene Ausdruck auf ihrem Gesicht. Zach fragte sich, ob dieses Erkennen vielleicht auf einer tieferen als der körperlichen Ebene lag. Es hatte etwas Instinktives, Sehnsüchtiges. In diesem Moment spürte er, wie etwas in ihm aufsprang, ein kleiner Riss und eine Art Druckstelle entstand, neu und zugleich vertraut. Er nahm es mit gemisch ten Gefühlen zur Kenntnis – eine Art bestürztes Will kommen.
»Hallo«, murmelte er. Hannah hörte zu kauen auf und schaute zu ihm herüber.
»Na, wieder unter den Lebenden?«, sagte sie.
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Ach, nur etwa eine halbe Stunde. Allerdings würde ich das nicht als Schlaf bezeichnen. Koma trifft es eher.«
»Entschuldige. Du hast mich ziemlich überrascht. Komm her.« Sie ignorierte seinen Befehl eine Sekunde lang, doch dann kam sie herüber und setzte sich völlig unbefangen im Schneidersitz aufs Bett. »Machst du dir keine Gedanken, dass dich jemand sehen könnte?«, fragte er lächelnd.
»Da draußen ist niemand, der hereinschauen könnte. Und die Vorhänge sind irgendwann in Flammen aufgegangen.« Sie schnaubte leise und blickte sich zum Fens ter um. »Der Wind hat sie an eine Kerze geweht. Also habe ich sie abgenommen, und irgendwie bin ich nie dazu gekommen, neue aufzuhängen. Außerdem hilft es mir, morgens aufzustehen, wenn das Licht hereinfällt.« Zach versuchte die Vorstellung von Hannahs Schlafzimmer bei Kerzenschein zu verdrängen – die romantische Geste und die Frage, wem sie gegolten haben mochte. Er streckte die Hand aus, strich an ihrem Arm hinab, fasste sie am Handgelenk und zog sie zu sich heran. Zunächst sträubte sie sich mit einem Stirnrunzeln, aber dann gab sie nach und legte sich neben ihn, ihm zugewandt, doch ohne ihn zu berühren.
»Hannah, was ist mit Ilir?«, fragte er vorsichtig.
»Was soll mit ihm sein?«
»Meinst du nicht, dass er etwas dagegen hätte? Dass wir miteinander schlafen?«
»Nein, das glaube ich nicht. Außerdem geht es ihn eigent lich nichts an.«
»Du meinst, ihr beide seid nicht – du weißt schon, zusammen?«
»Also, ich würde es wohl kaum am helllichten Tag mit dir treiben, wenn Ilir und ich ein Paar wären, oder?«
»Da bin ich mir wirklich nicht sicher«, erklärte Zach voll kommen aufrichtig.
»Nein, Ilir ist nicht mein Liebhaber. War er auch nie. Für ihn gehöre ich zur Familie. Er ist ein guter Freund und – Kollege, in gewisser Weise.« Sie sah ihn offen an, und hinter ihrem lockeren Tonfall steckte trotzdem etwas Ernsthafteres. »Es gibt niemand anderen.«
»Gott sei Dank«, sagte Zach erleichtert. »Ich hätte mich nur sehr ungern mit ihm um dich geprügelt. Er sieht ziemlich stark aus.«
»Nein, ich denke nicht, dass das nötig sein wird.« Hannah kicherte.
»Es fühlt sich für mich richtig an. Das hier. Mit dir zusammen zu sein, meine ich. Es kommt mir so vor, als würde ich dich schon lange kennen. Weißt du, was ich meine?«, fragte er.
»Nein.« Hannah hob das Gesicht und schaute zur Decke auf, ohne zu blinzeln. »Lass uns nichts überstürzen, Zach.«
»Nein, natürlich nicht. Ich meinte ja nur, dass ich mich freue. Ich freue mich, dich kennengelernt zu haben«, erklärte er. Sie sah ihn wieder an und grinste.
»Gleichfalls, Zach. Du hast einen reizenden Hintern.«
»Nur einer meiner zahlreichen Vorzüge, das kann ich dir versichern«, erwiderte er, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich in demonstrativer Selbstzufriedenheit zurück. Hannah pikte ihm den Zeigefinger zwischen die Rippen. »Au! Wofür war das denn?«, fragte er lachend.
»Ich wollte nur dein Ego anstechen, damit es sich nicht zu sehr aufbläht.« Sie lächelte. Zach packte ihre Hände, ehe sie sich wehren konnte, zog sie an sich und küsste sie.
»Du hast einen Knutschfleck. Tut mir leid«, sagte er und strich mit dem Finger über ihr Schlüsselbein, wo ein rosiger Fleck erblüht war.
»Ich werde es überleben.«
Er verschränkte die Finger seiner linken Hand mit denen ihrer rechten, führte sie an den Mund und küsste ihre Fingerknöchel. Als er mit den Lippen ihren Daumen entlangfuhr, spürte er eine harte Erhebung auf ihrer Haut.
»Was ist das?« Er hielt ihre Hand ein Stück von sich ab, um sie besser betrachten zu können. Eine dicke, gerade Narbe zog sich schräg über die Fingerkuppe ihres Daumens. Sie war
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