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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Frühstück verlangte, unterhalten und beeindruckt und gescholten werden musste, erschien ihm alles andere, was er tat, ziemlich sinnlos. Er war lange der Ansicht gewesen, Ali zu verlieren sei das Schlimmste, das ihm je hätte widerfahren können. Jetzt wusste er, dass es viel, viel schlimmer war, Elise zu verlieren.
    »Du hast sie doch nicht verloren. Du wirst immer ihr Vater sein«, sagte sein Freund Ian in der Woche danach über einem Curry beim Inder.
    »Ein abwesender Vater. Nicht die Art Vater, der ich sein wollte«, entgegnete Zach trübsinnig. Ian schwieg einen Mo ment lang. Offensichtlich fiel es ihm schwer, tröstliche Worte zu finden, und er fand Zachs Gesellschaft anstrengend. Das tat Zach leid, aber er konnte nichts daran ändern. Er hatte keine Kraft mehr, den Tapferen zu spielen. Als Ian vorsichtig andeutete, der Umzug nach Amerika könnte sich auch für Zach als Befreiung herausstellen, auch ihm einen Neuanfang ermöglichen, blickte Zach nur düster zu ihm auf, und sein Freund verfiel in unbehagliches Schweigen. »Tut mir leid, Ian. Ich bin keine angenehme Gesellschaft, was?«, entschuldigte er sich schließlich.
    »Grauenhaft«, stimmte Ian zu. »Gott sei Dank machen die hier so ein gutes Karahi, sonst wäre ich schon nach zehn Minuten wieder gegangen.«
    »Entschuldige. Ich bin nur … Sie fehlt mir jetzt schon.«
    »Ich weiß. Wie läuft das Geschäft?«
    »Geht den Bach runter.«
    »Doch nicht im Ernst?«
    »Ich fürchte schon.« Zach musste lächeln, als er Ians entsetzte Miene sah. Ians eigene Firma – er organisierte einmalige Abenteuer, »die Traumreise Ihres Lebens« – wuchs und wuchs.
    »Das darfst du nicht zulassen, Mann. Du musst doch irgendetwas dagegen unternehmen können?«
    »Was denn? Ich kann die Leute nicht zwingen, Kunst zu kaufen. Entweder wollen sie Bilder kaufen oder eben nicht.« In Wahrheit sollte er schon eine Menge mehr tun. Er sollte sich auf kleinere Werke konzentrieren, die die Leute sich eher leisten konnten, und auf diese Weise seinen Bestand erhöhen. Er sollte öfter nach London fahren und sich bei anderen Kunsthändlern und Kunden in Erinnerung brin gen. Einen Stand auf der Londoner Kunstmesse buchen. Al les tun, was der Galerie ein paar Kunden verschaffen könnte. So hatte er es im Jahr vor der offiziellen Eröffnung gemacht und auch im Jahr danach. Jetzt fand er allein den Gedanken daran ermüdend. So etwas erforderte mehr Energie, als ihm geblieben war.
    »Was ist mit diesen Bildern von Charles Aubrey? Die musst du doch verkaufen können? Und dann was Neues kau fen, wieder Bewegung reinbringen …«, schlug Ian vor.
    »Stimmt, ich könnte zwei von ihnen zur Versteigerung bringen«, gab Zach zu. Aber nicht Delphine, dachte er. »Aber wenn die erst weg sind, dann war’s das. Sie sind das Herz stück der Galerie. Wer weiß, wann – oder ob überhaupt – ich mir wieder Werke von ihm werde leisten können? Eigentlich sollte Aubrey mein Spezialgebiet sein. Ich bin Aubrey-Experte, schon vergessen?«
    »Ja, aber was sein muss, muss sein, Zach. So läuft das Geschäft. Häng da nicht so viel Persönliches dran.«
    Ian hatte recht, aber für Zach war es persönlich – wahrscheinlich viel zu persönlich. Er wusste schon sehr lange von Charles Aubrey, war als kleiner Junge mit ihm in Berührung gekommen. Bei jedem angespannten, allzu stillen Besuch bei seinen Großeltern verbrachte er einige Zeit damit, neben seiner Großmutter in deren Ankleidezimmer zu stehen und das Bild anzustarren, das dort hing. Eigentlich, so erzählte sie ihm, sollte es den Ehrenplatz im Wohnzimmer haben, aber sein Großvater sei damit nicht einverstanden. Wenn Zach nach dem Grund dafür fragte, hörte er jedes Mal Ich war eine von Aubreys Frauen. Die alte Frau hatte bei diesen Worten stets ein Funkeln in den Augen, und ein Lächeln umspielte ihre faltigen Lippen. Einmal hörte Zachs Vater, wie sie das sagte, er spähte durch den Türspalt herein und starrte sie finster an. Setz dem Jungen nicht solchen Unsinn in den Kopf, brummte er. Als Zach und seine Großmutter wieder nach unten kamen, starrte Zachs Vater den Großvater an, doch der alte Mann schien dem Blick seines Sohnes auszuweichen. Das war wieder einer dieser Augenblicke, in denen eine seltsame Spannung in der Luft hing, die Zach damals nicht verstanden hatte. Wegen dieser Momente graute ihm allmählich fast davor, seine Großeltern zu besuchen, und ihm graute vor der furchtbar schlechten Laune, die sein Vater tagelang danach haben

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