Das verborgene Netz
panisch.
»Ich liebe dich«, sagte die vertraute, ferne Stimme.
Klick
, machte der Anrufbeantworter.
In dieser Nacht kamen keine Träume – aus einem einfachen Grund: Sie konnte nicht einschlafen. Die Sache mit der Liebe trieb sie um. Dass sie mit fünfundvierzig noch immer nicht gelernt hatte, im Fundament stabil zu bleiben, ob nun mit Partner oder ohne, war ernüchternd. Was zählten alle Kämpfe, die sie mit sich ausgefochten hatte, alle Siege über ihre Dämonen, wenn ihre Stabilität nur vorhanden war, solange sie nicht liebte?
Oder liebte sie auf die falsche Art?
Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, die Fragen blieben dieselben.
Im Halbschlaf am frühen Morgen sang ein Telefon, verstummte, begann von Neuem. Sie brauchte Minuten, um zu begreifen, dass der Gesang aus ihrem Wohnzimmer kam. Während sie hinüberlief, brach die Melodie ab, und das Festnetztelefon begann zu läuten.
Kilian.
»Wir brauchen dich«, sagte er.
Esther Graf hatte versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Schutzengel hatte sie gerettet.
7
IM AUTO , AUF DER KURZEN FAHRT zum Krankenhaus, rief sie Kilian zurück.
Esther Graf hatte sich eine Pulsader aufgeschnitten.
»Ich hab’s vermasselt«, sagte Kilian.
Louise wollte etwas erwidern, brachte keinen Ton heraus. Die Ampel vor ihr sprang auf Rot, sie beschleunigte. Mit dem Ärmel wischte sie sich Tränen aus den Augen, dann hielt sie sich das Handy wieder ans Ohr. Aber sie konnte noch immer nicht sprechen.
Der Druck in der Brust war wieder da, die Angst im Kopf.
»Scheiße«, sagte Kilian.
Die nächste rote Ampel, wieder gab sie Gas. Sie unterbrach die Verbindung, vor ihr lag das Krankenhaus.
Kilian wartete vor dem Haupteingang auf dem Gehsteig. Louise parkte in zweiter Reihe, schaltete den Warnblinker an, stieg aus.
»Wie geht es ihr?«
»Unverändert.«
»Verflucht, Kilian, sag mir, ob sie überlebt!«
»Ja.« Er hatte die Hände in die Jackentaschen gesteckt, die erschöpften Augen lagen auf ihr. »Willst du sie sehen?«
»Erzähl erst mal.«
Er atmete durch. »Viel gibt es nicht zu erzählen.«
Marc und er hatten abwechselnd im Wagen gesessen und Rundgänge gemacht. Etwas Auffälliges hatten sie nicht bemerkt. Gegen zwei Uhr morgens war plötzlich ein Rettungswagen vorgefahren. Sie waren ausgestiegen, mit den beiden Sanitätern nach oben gelaufen.
Die Haustür hatte offen gestanden.
Sie hatten Esther Graf im Morgenmantel in ihrem Bett gefunden, bewusstlos, ein Handgelenk verbunden. Jemand musste sich um sie gekümmert haben, denn sie hatte es im Bad getan, in der Wanne. Undenkbar, dass sie allein hinausgekommen wäre, angesichts des Blutverlustes. Das Wasser war rot gewesen, die Kacheln von Blut bespritzt.
Kilian hielt inne, fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Mann, bin ich froh, dass sie nicht dringelegen ist.«
»Weiter, Kilian.«
Die Bodenfliesen waren überschwemmt gewesen, der Teppich in Flur und Schlafzimmer feucht. Wer auch immer im Haus gewesen war, hatte sie aus der Wanne gehoben, das Blut gestillt, den Verband angelegt. Ihr den Morgenmantel angezogen und sie ins Schlafzimmer getragen.
Dann hatte er den Notruf abgesetzt.
»Haben wir einen Namen? Eine Nummer?«
»Keinen Namen, aber eine Handynummer. Es muss sein Handy sein, Esther Graf hat keins.« Kilian reichte ihr einen Notizzettel. »Die Nummer wird schon überprüft.«
»Hast du die Techniker angefordert?«
»Noch nicht.«
»Mach das. Sobald sie am Morgen in der PD sind, sollen sie nach Littenweiler fahren. Bis dahin betritt niemand das Haus. Er wird Spuren hinterlassen haben.«
Kilian zog das Handy aus der Tasche.
»Warte«, sagte Louise. »Was ist mit dem Verfassungsschutz?«
»Die sind kurz nach uns ins Haus gekommen.«
»Das Pärchen aus dem Auto?«
»Ja.«
Kilian und die Frau – Antje Harth – hatten vereinbart, die Zuständigkeiten später zu klären. Zu diesem Zeitpunkt war anderes wichtiger gewesen. Gemeinsam hatten sie sich in den Zimmern umgesehen. Gemeinsam waren sie gegangen. Gemeinsam hatten sie die Tür versiegelt.
»Wo sind sie jetzt?«
Kilian zuckte die Achseln. Er war mit dem Rettungswagen mitgefahren, hatte die Stuttgarter Kollegen noch einmal kurz an ihrem Auto gesehen, beide mit einem Telefon am Ohr. Im Krankenhaus waren sie nicht aufgetaucht.
»Und Marc?«
»Ist in Littenweiler geblieben. O Mann, Louise … « Er ließ den Kopf auf ihre Schulter sinken.
Sie streichelte ihm über die Haare, fühlte sich dadurch selbst ein wenig
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