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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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nichts dazu. Daß ich hingegen mich reinhalten würde auf ewig und immer für ihn, gefiel ihm.
    Es war eine prachtvolle Hochzeit. Der Neubau fix und fertig eingerichtet, mit dem Verputzen wollte man bis zum Frühjahr warten, dann war alles noch besser ausgetrocknet. Die Möbel geflammte Birke. Und Hannis Musiktruhe.
    Das ganze Dorf war auf den Beinen. Im Auto vorneweg, einem türkisfarbenen Borgward mit flatternden Tüllstreifen an der Antenne, das Brautpaar. Alle anderen gingen zu Fuß ins Kapellchen am Rhein, wo sie dicht gedrängt die Köpfe reckten nach dem Paar vorm Altar. Rudi, im schwarzen Anzug noch länger und dünner als gewöhnlich, stand neben seiner Braut, scharrenden Fußes wie ein Pferd an der Krippe. Hanni, von oben bis unten mit weißem Tüll umwunden, sah wie eine Riesenportion türkischer Honig aus. >Einer trage des anderen Leid<, predigte Pastor Kreuzkamp. Hanni sagte leise, Rudi laut: Ja. Über ihnen golden und schwergewichtig die Jungfrau Maria, ihr speckiges Baby im Arm.
    Dat Hanni hät usjesorscht, seufzte die Mutter auf dem Weg zum Festsaal Pückler und sah mich mißtrauisch an, ob ich wohl jemals aussorgen würde.
    Nach dem Mittagessen ergriff ich die Flucht. Seit meinem Versteck in den Rüppricher Stangenbohnen wußte ich allerorten einen stillen Winkel aufzuspüren.
    Eine Handtasche besaß ich nicht. Aber immer trug ich ein kleines Buch bei mir, sicherheitshalber in der Unterhose. Diese Art des Transports zwang mir eine besonders aufrechte Haltung, einen gemessenen Gang ab. Dat kütt dovon, wenn mer op de Scholl jeht, höhnten die Verwandten, deren Kinder nur en de Scholl gingen.
    Bei Pückler verkroch ich mich unter die Kellertreppe. Heute hatte ich nur ein dünnes Reclamheft eingesteckt: >Der Verbrecher aus verlorener Ehre<. Im Saal wechselte das Schützenbrüderkorps mit der Caprifischer-Band aus Möhlerath, >Anne- lise, ach, Annelise, warum bist du böse auf mich<, >Rosamunde, schenk mir dein Herz und sei mein<, spielten die einen, >Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein< die anderen. Dazu kam mir mein Friedrich mit Sätzen wie: >Eine und ebendieselbe Fertigkeit oder Begierde kann in tausend Formen und Richtungen spielen, kann tausend widersprechende Phänomene bewirken, kann intausend Charakteren anders gemischt erscheinen, und tausend ungleiche Charaktere und Handlungen können wieder aus einerlei Neigung gesponnen sein, wenn auch der Mensch, von welchem die Rede ist, nicht weniger denn eine solche Verwandtschaft ahndet.<
    Ich schnupperte. Der Geruch nach Rotkohl, Bratensoße, Suppengrün und Brühe wurde immer stärker. Ich wollte raus. Doch das Gatter ließ sich nur nach außen öffnen, und davor türmte sich nun schmutziges Geschirr. Ich war in meinem Verschlag gefangen und mußte warten, bis der Bruder mich holen kam.
    Es war heiß unter der Treppe, in meinem Kopf verwickelten sich die Wörter, wollten keinen Sinn ergeben. Ich tastete mich von Wort zu Wort, bemüht, Zusammenhänge zu erfassen, Bedeutung herzustellen, Orientierung. Glaubte ich mit einem Satzanfang wie: >Wir sehen den Unglücklichem festen Boden unter die Füße zu bekommen, ging ich in den nächsten Verschachtelungen wieder unter: >der doch in ebender Stunde, wo er die Tat beging, so wie in der, wo er dafür büßet, Mensch war wie wir, für ein Geschöpf fremder Gattung an, dessen Blut anders umläuft als das unsrige, dessen Willen andern Regeln gehorcht, als der unsrige<.
    Erst nach sieben Seiten kam Friedrich endlich in Fahrt, ließ mich Soßen, Kohl, Sellerie und Porreegerüche, das Stampfen der Füße zum Auftrumpfen der Kapellen vergessen, und das hin und wieder an meine Ohren brausende Gelächter und Gejohle machte mir meine dämmerige Einsamkeit noch willkommener. Nur eines störte mich, wie schon bei den >Räubern<, auch in dieser Geschichte. Hatte jemand einen Buckel, rote Haare, Narben, schielende Augen, ein hinkendes Bein, war er mit Sicherheit ein Bösewicht. Nur schöne Menschen waren gute Menschen. Ich wußte es besser. War Hillgers Otto, der sabberte, hinkte und kaum verständlich sprechen konnte, nicht ein herzensguter Mensch? Und das Fräulein Feitzen, die Mathematiklehrerin, die aussah wie die Vorführdamen aus dem Quelle-Katalog, nicht ein durch und durch bösartiges Wesen, und das mit Lust?
    Dies alles würde ich Friedrich schreiben, wenn ich erst einmal wieder zu Hause war, im Holzstall. Nach dem Auftritt im Wohnzimmer hatte der Vater den Verschlag leer geräumt und einen Tisch und einen Stuhl

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