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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Bauern- zu Bauland erklärt worden war, wurde ein geräumiges, doppelstöckiges Haus gebaut. Niemand kannte den Namen des Bauherrn. Alle möglichen Gerüchte liefen im Dorf um, vom Müpp, der im Lotto gewonnen hatte, bis zum reichen Düsseldorfer, der hier eine zweite, eine Landwohnung bauen wollte. Rudi, der es ja wissen mußte, schwieg zu alledem. Unter den Hochrufen der Arbeiter wurde der Birkenstrauch mit den bunten Bändern aufs Dach gepflanzt: Heinrich Hilliger, der Bauunternehmer, machte den Hausherrn, Bier und Ääzezuppgab es, auch für die, die nur vorbeischauten, um endlich den Bauherrn ausfindig zu machen.
    Kaum zwei Wochen später, das Dach war schon gedeckt und Elektriker und Klempner zogen bereits Rohre und Leitungen hoch, da stürzte die Tante durch die Gartentür in die Küche. Mama, Maria! rief sie: Dä Ruddi! Nä, dä Ruddi. Sujet jiddet doch janit. Nä, nä, dat jiddet doch nit.
    Der Bauherr des Hauses auf dem Kiesberg war niemand anderer als Rudi, der Schwiegersohn in spe. Die Baustelle habe man betreten, obwohl da stand >Betreten der Baustelle verboten«, und vor Aufregung habe sie ihrem Schäng einen Stoß in die Rippen gegeben, daß der von der Planke fast in den Schlamm gerutscht sei. Rudi habe Hanni von dem Brett weg direkt durch die Türöffnung auf den Betonfußboden gehoben, über die Schwelle jetragen, sagte die Tante so hochdeutsch wie möglich, da habe sie die Tränen nicht mehr zurückhalten können, do leefe mer de Trone de Backe eraff. Dat Beste ävver kütt noch. Man sei nämlich, nicht ganz ungefährlich, da die Treppe noch kein Geländer habe, in den ersten Stock gestiegen. Un wat jlövt ehr! Do sulle mer entrecke! Dä Schäng und esch. Die Tante schneuzte sich. Berta! riefen Mutter und Großmutter wie aus einem Munde, fielen der Weinenden um den Hals, auch die Mutter wischte ein wenig an ihren Augen herum. Dat wulle mer fiere! rief die Großmutter und holte den Aufgesetzten aus dem Keller.
    Un esch weeß och ald, wo dä Höhnerstall hinkütt, die Tante fuhr sich noch einmal über die Augen und steckte das Taschentuch wieder zwischen die Brüste ins Korsett. Un de Johannisbeere. Nur der Keller werde etwas klein. Mit den neuen Maschinen, Rudi wolle nur die allerbesten, brauche man zwar nur noch eine kleine Waschküche; doch wolle er sich auch einen Partykeller einrichten. Met Barhockere und ener Theke, schwärmte die Tante. Dann bliev he em Huus! Un minge Schäng krett end- lesch och ene Schuppe för singe Krom! Die Frauen stießen an. Op dat Hüsje! Op dä Jade [49] ! Vell Jlöck! Mit jedem Gläschen bekam das Haus ein Zimmer mehr, wuchsen in dem Garten, was immer den dreien an Gemüse, Sträuchern, Bäumen und zuletztauch Blumen einfiel, ein Paradies für alle Fälle. Un dat Hanni hat en de Eck von dä Kösch jezesch un jesäät: Un do kumme mer sechs Pänz [50] op de Bank, und da sei, was sie nicht für möglich gehalten habe, dä Ruddi rot geworden bis in den Kragen vom Sonntagshemd. Hück ovend jonn se dat Aufjebot bestelle. Prost!
    Mit Fräulein Abendgold waren wir bis Lessing und in die >Auf- klärung< gekommen. Mit Geffken bis zu Schiller und den >Räu- bern<, und das hieß >Sturm und Drang<. Jedesmal wenn die Lehrer den Dichtern so ihren Platz anwiesen, war mir, als zögen sie einen Turnbeutel an seiner Kordel auf und zu, um ein Stück Dichtung hineinzustopfen oder herauszuziehen. In unserem Lesebuch >Silberfracht< gab es ein Bild von Schiller, vorangestellt seinen >Kranichen des Ibykus<. Ein Mann im Halbprofil mit bedeutender Nase, feurigem Blick, eine dunkle Locke in der gedankenverlorenen Stirn, der reine, weiße, wellige Kragen um den schlanken Hals. Wort für Wort hatte ich mitgeschrieben, traurige Geschichten von harter Kindheit, tyrannischen Fürsten, von Krankheit und Luise, der Freundschaft zu Goethe, dem frühen Tod. Um mich bei Geffken hervorzutun, hatte ich mir bei Fräulein Abendgold ein Buch ausgeliehen, dick wie unser Heiligenbuch, Biographie nenne man das, sagte sie, der Verfasser sei ein berühmter Mann. Hatte Fragen ausgeklügelt, die ich für verfänglich hielt, Fragen, die sich von frühen Liebeserfahrungen bis zu Verdauungsproblemen des Dichters erstreckten. Wenn ich Geffken mit meiner Wichtigtuerei auf die Nerven gegangen war, hatte er es mich nicht merken lassen. Dies war nun vorbei. Mein Wissensdurst und meine Liebe galten nur noch Schiller allein. Das Buch des gelehrten Schweizer Professors wurde meine Bibel. Kein Zweifel. Schiller war ein

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